Entscheidungsstichwort (Thema)

Durchlaufspendenverfahren: Amtshaftung nach Art. 34 GG i.V.m. § 10b Abs. 4 Sätze 2 und 3 für die Ausstellung falscher Spendenquittungen. Haftung nach § 10b IV EStG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Über Art. 34 GG geht die Haftung aus § 10b Abs. 4 Satz 2 EStG für pflichtwidrig oder zumindest grob fahrlässig handelnde Gemeindebedienstete auf die Anstellungskörperschaft über, so dass diese für das Ausstellen falscher Spendenquittungen durch ihre Amtsträger im Durchlaufspendenverfahren primär haftet.

2. Zur Auslegung der Verschuldensbegriffe des § 10b Abs. 4 Satz 2 EStG kann auf die Steuerrechtsprechung zu der inhaltsgleichen Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zurückgegriffen werden.

3. Die Höhe der Inanspruchnahme für den Steuerausfall bemisst sich nach der pauschalierenden Regelung des § 10b Abs. 4 Satz 3, wonach die entgangene Steuer mit 40 v.H. des zugewendeten Betrages anzusetzen ist.

4. Mangels substantiierter Angaben zu den einzelnen Spenden bleibt die Frage der Exkulpationsmöglichkeit des Haftungsschuldners durch einzelfallsbezogene Darlegung der Bösgläubigkeit des Steuerschuldners (= Spenders) oder der fehlenden steuerlichen Auswirkung im Einzelfall unentschieden.

 

Normenkette

EStG § 10b Abs. 4 S. 2; GG Art. 34; EStG § 10b Abs. 4 S. 3; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2; EStDV § 48 Abs. 3 Nr. 1; BayGO § 56

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob der Markt … (Kläger), eine bayerische Gemeinde mit etwa 3000 Einwohnern, für in den Jahren 1990 bis 1992 zu Unrecht aus gestellte Spendenbestätigungen gemäß § 10b Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Haftung genommen werden kann.

Der Kläger hat einen hauptamtlichen ersten Bürgermeister, Herrn …. Dieser war zunächst beim Landratsamt tätig, wo er die Verwaltungsprüfung ablegte. Anschließend wechselte er zur Wehrverwaltung. 1974 wurde er erstmals zum ersten Bürgermeister des Klägers gewählt. Weiter gibt es einen Kämmerer, Herrn … …, und den Kassenverwalter, Herrn S.. Dieser ist etwa 40 Jahre alt. Er arbeitet seit mindestens 8 Jahren beim Kläger. Nach Abschluß der kaufmännischen Ausbildung ging er zur Bundeswehr, von wo er zum Kläger wechselte. Daneben gibt es noch drei weitere Mitarbeiter, zum Teil in Teilzeitarbeit. Der zweite (ehrenamtliche) Bürgermeister, Herr …, ist von Beruf Landwirt. Die fraglichen Spendenbescheinigungen (Hinweis auf Bl. 12 der Haftungsakte) wurden von Herrn S. vorbereitet und vom ersten Bürgermeister bzw. in dessen Abwesenheit vom zweiten Bürgermeister unterschrieben.

Im einzelnen geht es für den Spendenbereich des beklagten Finanzamts (FA) um folgende Spendenbeträge:

Musikverein

1990

DM

1991

DM

Geflügelzuchtverein

1990

DM

Heimatverein

1991

DM

1992

DM

Jugendkapelle

1990

DM

1991

DM

Schützenverein „W.”

1992

DM

Traktoren- und Oldtimerfreunde

1990

DM

1991

DM

G. schützen

1990

DM

1991

DM

1992

DM

DM

Der Musikverein … ist erst ab dem 1. Januar 1994 als gemeinnützig anerkannt. Der Geflügelzuchtverein …, die Jugendkapelle …, der Schützenverein „W.” und die Traktoren- und Oldtimerfreunde … (gegründet 1989) hatten die Gemeinnützigkeit bis zum Ergehen der für den Streitfall maßgebenden Einspruchsentscheidung nicht beantragt. Der Heimatverein … und der Schützenverein „G.” … hatten den Antrag auf Gemeinnützigkeit gestellt. Eine Anerkennung ist jedenfalls nicht vor dem 1. Januar 1994 erfolgt.

Unter dem Datum vom … September 1994 erließ das FA einen Haftungsbescheid, in dem es den Kläger gemäß § 191 der Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 10b Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG in Höhe von … DM (40 v. H. von … DM) als Haftungsschuldner in Anspruch nahm.

Hiergegen wandte der Kläger sich mit dem Einspruch. Zur Begründung führte er aus, die Voraussetzungen des vom FA angeführten Haftungstatbestands seien im Streitfall nicht erfüllt. Die Inanspruchnahme der Gemeinde scheitere aus folgenden Gründen:

Bei vielen Spendern sei es zu keiner Steuererstattung gekommen.

Vorrangig seien die Vereine, die die Spenden erhalten haben, in Anspruch zu nehmen.

Ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten könne dem Kläger nicht vorgeworfen werden. Vielmehr sei anzunehmen, daß beispielsweise Musikvereine, Schützenvereine und Heimatvereine generell als gemeinnützig anerkannt seien. Rückfragen würden sich deswegen erübrigen. Auch habe das Landratsamt als Rechtsaufsichtsbehörde erst später (… Dezember 1993, … Januar 1994) auf die hier bedeutsame Änderung der Rechtslage bei der Ausstellung von Spendenbescheinigungen hingewiesen.

Unter dem Datum vom … November 1994 erließ das FA eine Einspruchsentscheidung, in der es den Einspruch als unbegründet zurückwies. Es führte aus, der Kläger habe grob fahrlässig oder ggf. sogar vorsätzlich unrichtige Spendenbescheinigungen ausgestellt. Folglich könne gemäß § 10 b Abs. 4 EStG in Haftung genommen werden. Auch sei das Auswahlermessen zutreffend ausgeübt worden. Denn nicht den Vereinen, sondern den Gemeinden sei das Recht auf Auss...

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