Entscheidungsstichwort (Thema)

Entstehung von Säumniszuschlägen. Ablehnung eines Antrags auf Stundung einer Kindergeldrückforderung nebst Säumniszuschlägen. Zuständigkeit. Konzentrationsermächtigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine gegen die Erhebung von Säumniszuschlägen gerichtete Klage ohne Vorliegen eines Abrechnungsbescheids ist grundsätzlich unzulässig.

2. Ein Schreiben der Familienkasse, das eine bloße Aufstellung über den Stand des Schuldenkontos und eine Mitteilung über die nach Ansicht der Familienkasse verwirkten Säumniszuschläge enthält, kann nicht als Abrechnungsbescheid angesehen werden.

3. Die Verletzung der Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit im Rahmen einer Ermessensentscheidung – hier betreffend die Stundung einer Kindergeldrückforderung nebst Säumniszuschlägen – ist ein stets beachtlicher Verfahrensfehler. Die Regelung des § 127 AO ist insoweit nicht anwendbar.

4. Die Konzentration der Zuständigkeit für die Bearbeitung von Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen des Inkasso-Service im Bereich des steuerlichen Kindergelds, also für sämtliche Rechtsbehelfsverfahren in Erhebungsangelegenheiten, auf nur eine einzige Familienkasse ist unzulässig. Sie lässt sich auch nicht auf die Organisationskompetenz der Bundesagentur für Arbeit stützen.

 

Normenkette

AO §§ 240, 222, 37 Abs. 2, § 218 Abs. 1, §§ 127, 16; FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11, § 17 Abs. 2 S. 3

 

Tenor

1. Der Bescheid über die Ablehnung des Stundungsantrags vom 6. März 2019 und die Einspruchsentscheidung vom 29. Mai 2019 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 90 vom Hundert, die Beklagte zu 10 vom Hundert.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über die Erhebung und die Rechtmäßigkeit einer Ablehnung der Stundung von Säumniszuschlägen in Höhe von … EUR zu einer Kindergeldrückforderung in Höhe von … EUR.

Mit Bescheid der Familienkasse Bayern Süd vom 5. November 2018 wurde eine Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin aufgehoben und Kindergeld für den Zeitraum von Januar 2018 bis Oktober 2018 in Höhe von … EUR zurückgefordert.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2018 erließ der Inkasso-Service der beklagten Familienkasse bei der Bundesagentur für Arbeit Recklinghausen gegen die Klägerin eine Mahnung und bezifferte die bis dahin entstandenen Säumniszuschläge auf … EUR. Mit weiterem Schreiben vom 8. Januar 2019 drohte der Inkasso-Service die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an und bezifferte die bis 7. Januar 2019 entstandenen Säumniszuschläge auf insgesamt … EUR.

Mit Email vom 11. Januar 2019 und Schreiben vom 30. Januar 2019 beantragte die Klägerin beim Inkasso-Service der beklagten Familienkasse die Stundung der Rückzahlungsforderung und der Säumniszuschläge bis zur Klärung des der Rückforderung zugrundeliegenden Sachverhalts. Mit Schreiben vom 19. Februar 2019 bot die Klägerin aufgrund ihrer schwierigen finanziellen Situation eine monatliche Ratenzahlung von … EUR an.

Mit Bescheid vom 6. März 2019 lehnte der Inkasso-Service den Antrag der Klägerin auf Stundung der Kindergeldrückforderung nebst Säumniszuschlägen in Höhe von … EUR ab, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Nach § 222 der Abgabenordnung (AO) dürfe eine Forderung nur gestundet werden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Schuldner verbunden sei und die Forderung durch die Stundung nicht gefährdet werde. Da der Lebensunterhalt aber vorliegend von unpfändbarem Einkommen bestritten werde, liege eine Gefährdung der Forderung vor. Die Forderung bleibe daher fällig. Dabei wies der Inkasso-Service weiter darauf hin, dass Säumniszuschläge in Höhe von 1% pro Monat (§ 240 AO) entstünden, wenn fällige Beträge nicht gezahlt würden.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die beklagte Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 29. Mai 2019 als unbegründet zurück. Der Stundungsantrag sei zu Recht abgelehnt worden, da die persönlichen Stundungsgründe nicht vorlägen. Insbesondere fehle es an der Stundungsbedürftigkeit, da die Klägerin dauerhaft zahlungsunfähig sei. Stundungsbedürftigkeit liege jedoch nur bei vorübergehender Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vor. Gleichwohl sei die Klägerin auch bei Ablehnung der Stundung durch die Pfändungsfreigrenzen ausreichend geschützt. Der Klägerin sei es ferner möglich, trotz Stundungsablehnung Teilbeträge auf die Forderung zu zahlen, um die Hauptforderung und die Säumniszuschläge zu reduzieren. Die Forderung bleibe aber weiterhin fällig. Daher fielen auch Säumniszuschläge weiterhin an.

Im Verlauf des hiergegen geführten Klageverfahrens erging am 19. August 2019 ein weiteres Schreiben der Familienkasse mit dem Betreff „Einziehung von Forderungen”, ...

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