Entscheidungsstichwort (Thema)
Neuregelung des Kindergeldanspruchs für geduldete Ausländer verfassungsgemäß. kurze Unterbrechungen im Aufenthaltsstatus unschädlich
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Neuregelung des Kindergeldanspruchs für Ausländer nach § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung vom 13.12.2006 ist verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber handelte im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums, als er typisierend gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG einen Daueraufenthalt erst bei einem mindestens dreijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und bei Integration in den Arbeitsmarkt unterstellte.
2. Der dreijährige Aufenthalt i. S. d. § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG muss nicht ununterbrochen rechtmäßig, gestattet oder geduldet sein. Aus der Tatsache, dass ein dreijähriger legaler Aufenthalt in Deutschland mit zum Kriterium dafür gemacht wurde, den voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland zu prognostizieren, kann nicht gefolgert werden, dass bereits bei kurzen Unterbrechungen im Aufenthaltsstatus diese Prognose zwingend erschüttert sein sollte.
Normenkette
EStG 2002 Fassung: 13.12.2006 § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a; AufenthG § 23 Abs. 3, § 25 Abs. 5; AuslG § 30
Nachgehend
Tenor
1. Unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 8. Juli 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 24. Juni 2009 wird die Beklagte verpflichtet, Kindergeld für die Kinder A und B für den Zeitraum Juni 2001 bis Mai 2004 festzusetzen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist noch, ob dem Kläger für seine Kinder A und B für den Zeitraum Juni 2001 bis einschließlich Mai 2004 Kindergeld zusteht.
Der Kläger, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, verfügte seit 1997 bis zum 11. März 2001 im Inland über Duldungen. In der Zeit von 15. März 2001 bis 15. Mai 2001 bestanden Ausreiseaufforderungen. Ab dem 8. Juni 2001 erhielt der Kläger Aufenthaltsbefugnisse nach § 30 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet – Ausländergesetz – (AuslG), BGBl I 1990, 1354, in der im Jahr 2001 gültigen Fassung, BGBl I 1992, 1126. Seit dem 17. Juni 2005 ist der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Er arbeitet seit 1991 für die Firma C. Auf die vorgelegte Bestätigung wird gemäß § 105 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) verwiesen. Am 22. April 1998 bzw. 4. Juli 2001 waren dem Kläger vom Arbeitsamt D für den Zeitraum ab 18. März 1998 bzw. ab 4. Juli 2001 unbefristete Arbeitsgenehmigungen erteilt worden.
Die Familienkasse E lehnte mit Bescheid vom 8. Juli 2005 den Kindergeldantrag des Klägers vom 4. Januar 2005 für die o.g. Kinder ab. Mit Neubewilligungsverfügung vom 21. Juli 2005 setzte sie aufgrund eines erneuten Antrags vom 5. Juli 2005 gegenüber dem Kläger für seine beiden Kinder ab Juni 2005 Kindergeld fest. Der gegen den Ablehnungsbescheid vom 8. Juli 2005 eingelegte Einspruch vom 18. Juli 2005 blieb ohne Erfolg (vgl. Einspruchsentscheidung der nunmehr zuständigen Familienkasse F – die Beklagte – vom 24. Juni 2009).
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger machte zunächst geltend, dass seine nach § 30 AuslG erteilte Aufenthaltsbefugnis einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – Aufenthaltsgesetz – (AufenthG), BGBl I 2004, 1950, die auf Anordnung der obersten Landesbehörden aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung der politischen Interessen der Bundesrepublik erteilt werde, entspreche. Selbst wenn von einem Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG auszugehen sei, dürfe die Dreijahresfrist nicht strikt angewandt werden. Kleinere Unterbrechungen änderten nichts an der Integration des Klägers in Deutschland.
In der mündlichen Verhandlung sicherte die Beklagte zu, Kindergeld gegenüber dem Kläger für beide Kinder von Juni 2004 bis Mai 2005 festzusetzen. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt. Das Verfahren wurde insoweit abgetrennt (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2010).
Der Kläger beantragt, den Ablehnungsbescheid vom 8. Juli 2005 und die Einspruchsentscheidung vom 24. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für die Kinder A und B für den Zeitraum Juni 2001 bis Mai 2004 festzusetzen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass ein Kindergeldanspruch erst ab Juni 2004 bestehe, da dem Kläger erstmals am 8. Juni 2001 eine Aufenthaltsbefugnis erteilt worden sei, die einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG entspreche. Die weitere Voraussetzung, dass sich der Kläger...