rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Billigkeitserlass von Nachforderungszinsen nach § 163 AO 11977 wegen schweren Fehlern des FA. Festsetzung von Zinsen gem. § 233 AO zur Einkommensteuer 1996
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Billigkeitsentscheidung nach § 163 AO 1977 ist gemäß § 239 Abs. 1 und § 1 Abs. 3 AO 1977 für eine Festsetzung nach § 233a AO 1977 zulässig und nicht durch § 234 Abs. 2 AO 1977 ausgeschlossen.
2. Erstattet das Finanzamt nahezu die gesamte vorausbezahlte Einkommensteuer, weil es Hinweise in der Steuererklärung und des EDV-Programms nicht beachtet, und setzt es trotz Hinweises durch den Steuerpflichtigen den zu Rückzahlung bereitgehaltenen Betrag erst nach einem Jahr fest, so sind Zinsen nach § 233a AO 1977 im Billigkeitswege niedriger festzusetzen.
Normenkette
AO 1977 §§ 233a, 163, 234 Abs. 2, § 239 Abs. 1, § 1 Abs. 3
Tenor
1. Das Finanzamt wird verpflichtet, über den Antrag auf abweichende Festsetzung der Zinsen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt das Finanzamt.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Streitig ist, ob Zinsen auf zu Unrecht erstattete Einkommensteuervorauszahlungen aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen sind.
Die Kläger sind Ehegatten und werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist an der Kernspintomographie R und an einer Praxisgemeinschaft beteiligt. Für 1996 leistete er Einkommensteuervorauszahlungen in Höhe von 252.680 DM.
Am 17.6.98 ging beim beklagten Finanzamt die Einkommensteuer-Erklärung für 1996 ein. In der Anlage GSE ist in Zeile 35/36 eingegeben „Gemeinschaftspraxis. Dres. … FA … St.Nr. …” und in der darauf folgenden Spalte im Feld 16 „v. Amtswegen”. In Zeile 37/38 ist eingetragen „Kernspintomographie R/FA …, St.Nr…” und in der nächsten Spalte in Feld 18 „94.182”. In Zeile 39/40 ist vermutlich vom Sachbearbeiter des Finanzamts eine geschwungene Klammer angebracht und handschriftlich vermerkt „Mitteilungen liegen noch nicht vor”. Abgehakt ist die Zeile mit der Eintragung der Einkünfte aus der Kernspintomographie.
Im Vorjahr hatte das Finanzamt bei gleichem Inhalt der Steuererklärung die Einkünfte aus der Gemeinschaftspraxis von Amts wegen einbezogen.
Mit Bescheid vom 21.7.98 (ESt-Akte Bl. 5), der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO erging, setzte das Finanzamt die Einkommensteuer auf 6.428 DM fest und einen Betrag von zu erstattenden Zinsen in Höhe von 3.693 DM. Bei den Bemessungsgrundlagen legte das Finanzamt lediglich die Einkünfte aus der Kernspintomographie zu Grunde. Den Überzahlungsbetrag von 268.545,74 DM erstattete das Finanzamt auf das Konto des Klägers. Am 27.7.98 überwiesen die Kläger von ihrem Girokonto DM 230.000,– auf ihr Tagesgeldkonto, von dem sie es erst am 16.8.99 wieder zurück auf das Girokonto übertrugen.
Am 29.6.1998 setzte das Finanzamt die Einkünfte der Kernspintomographie einheitlich und gesondert fest. Die Mitteilung vom selben Datum wurde vom Finanzamt erst ein Jahr später, am 29.6.99 ausgewertet (ESt-Akte Bl. 15). Am 17.8.98 stellte das Finanzamt die Einkünfte der Praxisgemeinschaft einheitlich und gesondert fest. Die Mitteilung vom selben Datum, mit dem Anteil des Klägers in Höhe von 526.302 DM, wurde vom Finanzamt ebenfalls erst fast ein Jahr später, am 22.7.99 ausgewertet (ESt-Akte Bl. 14).
Mit Bescheid vom 5.8.1999 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer der Kläger auf DM 257.740 fest, außerdem Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von 16.411 DM. Zuzüglich der bereits erstatteten Zinsen von 3.693 DM ergab sich eine Zinsforderung in Höhe von 20.104 DM. Abzüglich der bereits bezahlten Steuern ergab sich ein Nachzahlungsbetrag für die Einkommensteuer in Höhe von 251.312 DM. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb aufrechterhalten. Wegen der festgesetzten Zinsen beantragten die Kläger einen teilweisen Erlass. Hilfsweise erhoben sie Einspruch gegen die Zinsfestsetzung. Mit Bescheid vom 13.10.99 hob das Finanzamt den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Mit Einkommensteuerbescheid vom 5.10.00 änderte das Finanzamt die Einkommensteuer für 1996 gemäß §§ 129 AO, 175 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 AO dahingehend, dass es die Einkommensteuer auf 256.740 DM und die Zinsen zu Einkommensteuer auf 15.634 DM festsetzte und Kapitalertragsteuer in Höhe von 4.374 DM anrechnete. Das sich hieraus ergebende Guthaben von 6.554,01 DM wurde auf das Konto der Kläger erstattet.
Den Antrag der Kläger vom 31.8.99 auf Erlass der Zinsen zur Einkommensteuer 1996 in Höhe von DM 10.224,– lehnte das Finanzamt mit Schreiben vom 14.9.99 ab. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war diesem Schreiben nicht beigefügt. Das Finanzamt führte in diesem Schreiben im Wesentlichen aus, ...