rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Bei Auszahlung der Nettolöhne und Nichtabführung der Lohnabgaben Lohnsteuerhaftung des Vorstands einer AG trotz Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats bezüglich jedes Zahlungsvorgangs
Leitsatz (redaktionell)
1. Muss der der einzige und alleinvertretungsberechtigte, im Handelsregister eingetragene Vorstand einer Aktiengesellschaft aufgrund einer finanziell sehr angespannten Situation der AG im Innenverhältnis für jeden Zahlungsvorgang die vorherige Zustimmung des Aufsichtsrats der AG einholen und hat er die durch den Aufsichtsrat noch freigegebenen Gelder ausschließlich zur Auszahlung der Nettolöhne an die Arbeitnehmer der AG verwendet, ohne dabei die Frage der Liquidität für die Steueranteile, erforderlichenfalls auch mit dem Aufsichtsrat der Gesellschaft verbindlich abgeklärt zu haben und wurden die fällig gewordenen Lohnsteuer-, Kirchensteuer- sowie Solidaritätszuschlagsbeträge zwar einbehalten, aber nicht ans Finanzamt abgeführt, so haftet der Vorstand nach § 69 AO für diese Lohnabgaben (Abgrenzung von der Rechtsprechung zur haftungsrechtlichen Auswirkung des Zustimmungsvorbehalts eines vorläufigen Insolvenzverwalters).
2. Sollte der Vorstand im Zeitpunkt der Entscheidung über die Lohnzahlung eine Weisung des Aufsichtsratsvorsitzenden des Inhalts erhalten haben, die Steuerabzugsbeträge zu vernachlässigen, so hätte er zur Vermeidung eines späteren Inanspruchnahme als Haftungsschuldner entweder die volle Auszahlung der Nettolöhne unterlassen oder umgehend sein Amt als Vorstand niederlegen müssen.
Normenkette
AO § 69 Sätze 1-2, § 34 Abs. 1 Sätze 1-2, § 191 Abs. 1 S. 1; AktG § 78 Abs. 1 S. 1, § 76 Abs. 1; EStG § 38 Abs. 3 S. 1, § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 2; InsO § 22 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
Tenor
1. Der Haftungsbescheid vom 18.10.2005 in der geänderten Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.08.2006 wird insoweit aufgehoben, als hierin eine Haftungsschuld wegen Lohnsteuer für April 2005 von 96,91 EUR zuzüglich Säumniszuschlägen von 0,50 EUR und wegen Solidaritätszuschlägen zur Lohnsteuer für April 2005 von 3,18 EUR festgesetzt worden ist.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger zu Recht als Vorstand einer Aktiengesellschaft für deren lohnsteuerrechtliche Entrichtungsschulden in Haftung genommen wurde.
Der Kläger war laut Eintragung im Handelsregister des Amtsgerichts A – Registergericht – vom 20.07.2004 … der einzige und damit einzelvertretungsberechtigte Vorstand der X AG mit Sitz in B. Laut § 2 Nr. 1 Buchstabe d) seines Anstellungsvertrags bedurfte er als Vorstand im Innenverhältnis der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats der Kapitalgesellschaft u.a. für sämtliche Zahlungsvorgänge. Solche waren ausdrücklich mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der X AG abzustimmen und durften erst nach dessen Freigabe vorgenommen werden. Gegenstand des Unternehmens der Aktiengesellschaft war u.a. die Entwicklung, die Produktion und der Vertrieb von Hard- und Software. Ihr Geschäftsfeld und ihre Betriebsgrundlagen entstammten der zuvor bestehenden, im Jahr 2002 gegründeten und am 4.06.2004 in Insolvenz gefallenen Y AG mit Sitz in B, deren Vorstand ebenfalls der Kläger gewesen war. Die X AG war durch Umfirmierung im Juli 2004 einer am 2.03.2004 gegründeten, so genannten Vorratsgesellschaft entstanden. Die Betriebsgrundlagen der Y AG hatte die X AG durch ihre französische Muttergesellschaft, die Z, erhalten, die diese ihrerseits aus der Insolvenzmasse der Y AG erworben hatte. Aufgrund von Liquiditätsproblemen der X AG Anfang des Jahres 2005 veranlasste der Kläger die Auszahlung der Netto-Arbeitslöhne an deren Beschäftigte für Februar und März 2005 erst in der Mitte des jeweiligen Folgemonats März bzw. April 2005. Die hierfür teilweise im April, Mai bzw. Juni 2005 fällig gewordenen Lohnsteuern, Kirchenlohnsteuern und Solidaritätszuschläge behielt die X AG zwar ein und meldete sie beim Beklagten auch an, blieb die Beträge jedoch dem Beklagten schuldig. Ausweislich des auszugsweisen Ausdrucks einer E-Mail vom 9.04.2005 erhielt der Kläger vom Aufsichtsratsvorsitzenden der X AG, I (Frankreich), eine Nachricht folgenden Inhalts:
„Von: …
Gesendet: Samstag, 9. April 2005 11:35
An: …
Betreff: Re: AW:
≫…
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≫
≫ … a écrit: „
Laut dem im Termin zur mündlichen Verhandlung dem Senat in Kopie übergebenen Schreiben des Klägers vom 19.05.2005 an die Fa. W, einer zur Unternehmensgruppe der Z gehörenden Gesellschaft legte der Kläger im Innenverhältnis zur IX AG sein Amt als Vorstand mit sofortiger Wirkung nieder, blieb jedoch nach wie vor als solcher im Handelsregister eingetragen. Mit Schreiben vom 3.06.2005 regte der vorgenannte I beim Beklagten an, wegen der o.g. Steuerrückstände einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Aufgrund des Antrags der o.g. Fa. W vom 15.06.2005 wurde durch Beschlus...