Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Antidumpingzoll nach Ungültigerklärung einer Verordnung durch den EuGH. beabsichtigte rückwirkende Gesetzesänderung rechtfertigt keine Aussetzung des Verfahrens
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der Gerichtshof der Europäischen Union eine Verordnung über die Erhebung eines Antidumpingzolls (im Streitfall für die Einfuhr von Schuhen mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in der Volksrepublik China und Vietnam) für ungültig erklärt, ist aufgrund der Verordnung erhobener Antidumpingzoll zu erstatten, wenn sich keine andere Rechtsgrundlage für seine Erhebung finden lässt.
2. Eine künftige, mit Rückwirkung versehene Gesetzesänderung ist kein Rechtsverhältnis, dessen Bestehen oder Nichtbestehen für die Entscheidung eines Rechtsstreits vorgreiflich i. S. v. § 74 FGO ist.
Normenkette
ZK Art. 236 Abs. 1-2, Art. 239; EWGV 2913/92 Art. 236 Abs. 1-2, Art. 239; EGV 1472/2006; EGV 223/2016; AEUV Art. 266; FGO § 74
Nachgehend
Tenor
1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Juli 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2012 wird das Hauptzollamt verpflichtet, der Klägerin einen Antidumpingzoll in Höhe von … EUR zu erstatten.
2. Kostenentscheidung
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob der Klägerin Antidumpingzoll zu erstatten ist.
Die Klägerin führte in den Jahren 2006 bis 2011 Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in der Volksrepublik (VR) China und Vietnam in das Zollgebiet der Gemeinschaft ein, die zum zollrechtlich freien Verkehr abgefertigt wurden. Für ihre Einfuhren im Zeitraum vom 7. April 2006 bis zum 1. April 2011 entrichtete die Klägerin Antidumpingzoll in Höhe von ….
Im Rahmen des Antidumpingverfahrens, das der Festsetzung des Antidumpingzolls gegen die Klägerin zugrunde lag, wurde für einige ausführende Hersteller, unter anderem auch solche, die die Klägerin beliefert haben, ein Stichprobenverfahren durchgeführt. Andere ebenfalls zur Kooperation bereite Zulieferer der Klägerin wurden bei der Stichprobenauswahl nicht berücksichtigt.
Bei den Fabrikanten, die die Klägerin bei den streitgegenständlichen Einfuhren belieferten und einen Antrag auf marktwirtschaftliche Behandlung (MWB) bei der EU-Kommission (nachfolgend: Kommission) gestellt hatten, handelte es sich um Fabriken aus der VR China und Vietnam.
Mit zwei Anträgen vom 21. Dezember 2011 und einem ergänzenden Antrag vom 20. Januar 2012 beantragte die Klägerin beim Hauptzollamt (HZA) zunächst für den Zeitraum von April 2006 bis März 2011 die Erstattung von Antidumpingzoll nach Art. 236 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (ZK), hilfsweise nach Art. 239 ZK.
Mit Bescheid vom 5. Juli 2012 lehnte das HZA die Erstattung des Antidumpingzolls ab. Zur Begründung führte es aus, dass die Verordnung (EG) Nr. 1472/2006 des Rates vom 5. Oktober 2006 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung u. a. in der VR China (ABl. EU Nr. L 275/1, nachfolgend: VO Nr. 1472/2006) durch das Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vom 2. Februar 2012 (C-249/10 P, EU: C: 2012: 53) nur in Bezug auf bestimmte Hersteller für nichtig erklärt worden sei. Die Klägerin habe von diesen Herstellern jedoch keine Schuhe importiert.
Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 18. Juli 2012 Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren setzte die Klägerin mit Antrag vom 12. November 2012 den begehrten Erstattungsbetrag auf … EUR herab. Mit Einspruchsentscheidung vom 13. November 2012 wies das HZA den Einspruch der Klägerin zurück.
Dagegen erhob die Klägerin Klage, mit der sie die Erstattung von Antidumpingzoll weiter verfolgte.
Ihre Auffassung hat sie unter anderem folgendermaßen begründet: Aus den 141 Anträgen auf MWB bzw. individuelle Behandlung (IT) von chinesischen Ausführern bzw. Herstellern, die bereit gewesen seien, sich dem Stichprobenverfahren zu unterziehen, habe die Kommission lediglich die Anträge von zwölf chinesischen Stichprobenkandidaten beurteilt. Während für einen chinesischen Ausführer eine individuelle Dumpingspanne ermittelt worden sei, sei für die übrigen 11 chinesischen Ausführer/Hersteller eine gewogene durchschnittliche Dumpingspanne von 28,9 % berechnet worden, die auch auf die Ausführer bzw. Hersteller angewandt worden sei, die nicht Teil der Stichprobe gewesen seien, unabhängig davon, ob sie kooperativ gewesen seien oder nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vortrags und des Sachverhalts wird auf das Vorabentscheidungsersuchen des FG München an den EuGH vom 24. Oktobe...