Entscheidungsstichwort (Thema)

Treu und Glauben. Festsetzungsfrist gem. § 181 Abs. 5 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Erneutem Erlaß von gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellungen, die das FA (objektiv gesehen: zu Unrecht) aus rein formellen Gründen aufgehoben hat, steht Treu und Glauben nicht entgegen.

2. Kein Ablauf der Festsetzungsfrist für die Bescheide gem. § 181 Abs. 5 AO, da für die Folgebescheide die Festsetzungsfrist gem § 174 Abs. 3 Satz 2 AO noch lief.

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 21.01.1999; Aktenzeichen IV R 62/97)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens, die bis zur Bekanntgabe der geänderten Feststellungsbescheide 1987 und 1988 (8. Mai 1997) angefallen sind, trägt die Klägerin zu 80 % und das Finanzamt zu 20 %. Die übrigen Kosten trägt die Klägerin in voller Höhe.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin und ihr am 31. August 1995 verstorbener Ehemann (E), den die Klägerin allein beerbte (Bl. 36 FG-Akte), lebten in Gütergemeinschaft und waren Mitinhaber eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes. Sie wurden gemeinsam zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Dabei wurden ihnen vom Beklagten (Finanzamt) die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft je zur Hälfte zugerechnet.

Mit Vertrag vom 25. April 1988 überließen sie verschiedene Teilflächen von insgesamt 1.497 qm aus dem Grundstück FlNr. 38 unentgeltlich ihrer Tochter. Außerdem veräußerten sie 15 qm für 3.750 DM mit Vertrag vom 05. Januar 1988.

Sie gaben in der Anlage zur ESt-Erklärung 1987 die Veräußerung und die Überlassungen an (Bl. 5 ESt-Akte 1987). Für die Veräußerung beantragten sie die Gewinnübertragung nach §§ 6 b, 6 c des Einkommensteuergesetzes (EStG), für die Überlassung den Freibetrag wegen Abfindung weichender Erben nach § 14 a Abs. 4 EStG (Bl. 9 ESt-Akte). Das Finanzamt errechnete aus der Überlassung einen Entnahmegewinn von 365.445 DM, für den es einen qm-Preis von 250 DM zugrundegelegte. Es ließ sowohl für den Veräußerungs- als auch für den Entnahmegewinn die Gewinnübertragung nach § 6 c EStG zu, darüberhinaus setzte es auch den Freibetrag gem. § 14 a Abs. 4 EStG an (Anlage zum ESt-Bescheid 1987 vom 18.08.1989, Bl. 21 ESt-Akte 1987). Im erstmaligen ESt-Bescheid 1988 vom 14.02.1990, geändert durch Bescheid vom 12.06.1992, erfolgte ebenfalls kein Ansatz des Entnahmegewinns. Dieser wurde vielmehr erst im Gefolge (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung –AO–) der gesonderten und einheitlichen Feststellungen 1987 und 1988 vom 20. Oktober 1992 in den ESt-Bescheiden für 1987 und 1988 vom 29.10.1992 angesetzt.

Die Klägerin und E legten sowohl gegen die Feststellungs- als auch gegen die Folgebescheide Einsprüche ein. Sie hatten Erfolg (Aufhebungsbescheid vom 18. Januar 1993, Bl. 48 ESt-Akte 1988 und Folgebescheide vom 11. Februar 1993). Der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle schrieb im Aktenvermerk vom 14. Januar 1993 (Bl. 46 ESt-Akte 1988):

„1. F-Bescheide ersatzlos aufheben!

2. ESt-Bescheide nach § 175 (1) Nr. 1 AO ändern.”

Begründet wurde dieses Ergebnis mit dem Hinweis auf verschiedene finanzgerichtliche Urteile zum Problem des erstmaligen Erlasses eines Grundlagenbescheides (FG München vom 18. Dezember 1961 I 145–146/57, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 1962, 354; FG Baden-Württemberg vom 18. Juni 1982 I 369/79, EFG 1982, 549).

Im Aktenvermerk vom 14. Januar 1993 über die Einspruchserledigung nach § 172 AO (Bl. 50 ESt-Akte 1988) heißt es hierzu ergänzend: „Die Einsprüche gegen die ESt-Bescheide 1987 u. 1988 werden lt. tel. Rücksprache mit Herrn … zurückgenommen”. Dies geschah dann auch mit Schreiben vom 15. Januar 1993 (Bl. 49 ESt-Akte 1988).

Kurz zuvor hatte das Finanzamt den ESt-Bescheid 1991 vom 11. Januar 1993 erlassen, in welchem eine Auflösung des für das Wj 1987/88 vorgenommenen Gewinnabzugs nach § 6 c EStG i.V.m. Abschn. 41 d Abs. 3 der Einkommensteuerrichtlinien (EStR) nicht vorgenommen wurde.

Nachdem das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. Mai 1993 IV R 65/91 (BFHE 172, 5, BStBl II 1994, 76) bekannt geworden war, änderte das Finanzamt die ESt-Festsetzungen 1987, 1988 am 04. Juli 1994 erneut, und zwar gem. § 174 Abs. 3 AO.

Es ergingen somit folgende Bescheide gegen die Klägerin und E für die Streitjahre:

Datum

Betrag LuF

Änd.-Vorschr. AO

Fest.-Besch.

1987:

18.08.1989:

21.902 DM

29.10.1992:

143.124 DM

(§ 175 Abs. 1 Nr. 1)

E: 20.10.1992

11.02.1993:

21.901

(§ 175 Abs. 1 Nr. 2)

A: 18.01.1993

04.07.1994:

143.124 DM

(§ 174 Abs. 2)

1988:

14.02.1990:

15.690 DM

(§ 163 Abs. 1)

12.06.1992:

45.934 DM

(§ 164 Abs. 2)

Vorbeh. aufgeh.

29.10.1992:

167.157 DM

(§ 175 Abs. 1 Nr. 1)

E: 20.10.1992

11.02.1993:

45.934 DM

(§ 175 Abs. 1 Nr. 1)

A: 18.01.1993

04.07.1994:

167.156 DM

(§ 174 Abs. 3)

Der gegen die ESt-Änderungsbescheide vom 0...

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