Entscheidungsstichwort (Thema)

Vereinbarkeit des deutschen bzw. bayerischen Staatskirchenrechts mit höherrangigem Recht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das deutsche bzw. bayerische Staatskirchenrecht und darauf beruhende Kirchensteuerbescheide verstoßen weder gegen das Grundgesetz noch gegen supranationales, unmittelbar anwendbares Recht der Europäischen Gemeinschaft/ Union; es stellt insbesondere keine unzulässige Diskriminierung dar und verletzt auch nicht den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit, dass Bürger anderer EU-Staaten sowie beschränkt Steuerpflichtige nicht gesetzlich zur Kirchensteuerzahlung verpflichtet sind und deswegen auch nicht aus der Kirche austreten müssen, um eine Kirchensteuerzahlung zu vermeiden.

2. Weder der Europäischen Union noch der Europäischen Gemeinschaft kommen nach den bisherigen Verträgen, die sich primär auf wirtschaftliche Politik- und Rechtsbereiche konzentrieren, auf den Gebieten der Religion, der Weltanschauung und des Staatskirchenrechtes originäre Rechtsetzungskompetenzen zu. Betroffen sind Religionsgemeinschaften vom europäischen Gemeinschaftsrecht damit nur mittelbar und punktuell durch allgemeine, nicht kirchenbezogene Regelungen.

 

Normenkette

GG Art. 4 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 S. 1, Art. 140; WRV Art. 136, 137 Abs. 6; EG Art. 12, 13 Abs. 1, 5, Art. 43, 56 Abs. 1, Art. 234; Bayerisches Kirchensteuergesetz § 1 Abs. 1; Bayerische Verfassung Art. 107 Abs. 1-2, Art. 142, 143 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 15.07.2008; Aktenzeichen I B 202/07)

BFH (Beschluss vom 29.04.2008; Aktenzeichen I B 202/07)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob der Kirchensteuerbescheid 2003 wegen Verstoßes gegen europäisches Gemeinschaftsrecht rechtswidrig ist.

Der Beklagte (… – Kirchensteueramt –) erließ am … 2005 gegenüber den zusammen veranlagten Klägern den Kirchensteuerbescheid 2003, der den Klägern am … 2005 zuging. Der mit Schreiben vom … 2005 hiergegen eingelegte Einspruch der Kläger blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom … 2006). Ihre daraufhin mit Schreiben vom … 2006 erhobene Klage gegen den Kirchensteuerbescheid 2003 begründeten die Kläger im Wesentlichen und zum Teil sinngemäß wie folgt:

Das Kirchensteuersystem in Deutschland und damit die vorliegende, durch Art. 140 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 137 Abs. 6 Weimarer Reichsverfassung (WRV) und das Bayerische Kirchensteuergesetz (KiStG) gedeckte Festsetzung der Kirchensteuer 2003 ihnen gegenüber sei mit dem europäischen Recht unvereinbar.

Sie seien gegenüber den Bürgern anderer Mitgliedstaaten der EU in ihrer freien Religionsausübung diskriminiert, weil jene gegenüber der Katholischen Kirche nicht gesetzlich zur Kirchensteuerzahlung verpflichtet seien. Die ungleiche Behandlung der Finanzierung der Katholischen Kirche in Deutschland etwa im Vergleich zu den Niederlanden und Frankreich sei mit dem Europäischen Recht, insbesondere Art. 12 und 13 Abs. 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, nicht vereinbar. In Deutschland verbleibe den Klägern nur der Kirchenaustritt, um die Kirchensteuerpflicht zu vermeiden, was jedoch die kirchenrechtliche Exkommunikation zur Folge habe. Damit seien sie gegenüber den Angehörigen der Katholischen Kirche in anderen Ländern diskriminiert, die Angehörige der Katholischen Kirche sein und bleiben dürften, ohne Kirchensteuer zahlen zu müssen.

Entgegen der Ansicht des Kirchensteueramts sei aus der Erklärung Nr. 11 in der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam nicht zu folgern, dass das Recht zum Schutz des Status der Kirchen im Gegensatz zu deren Bürgern höher wiege.

Der Umstand, dass die Katholische Kirche ihre Finanzierung nicht so aufstelle und abstimme, dass diese alle EG-Bürger katholischen Glaubens gleichermaßen finanziell belaste, stelle eine Behinderung und Diskriminierung in Deutschland lebender Katholiken in der freien Religionsausübung dar.

Die unterschiedlichen Finanzierungsregelungen der Katholischen Kirche in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU widersprächen dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Gemeinschaftsrechtes der EU.

Die Katholische Kirche „missbrauche ihre marktbeherrschende Stellung in Sachen Kirchen-Finanzen” u.a. in Deutschland.

Die Katholische Kirche in Deutschland „missachte Art. 86 des EG-Vertrages”.

Nach Art. 43 des EG-Vertrags seien Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats verboten. Außerdem verstoße die Kirchensteuerbelastung deutschen Einkommens gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 des EG-Vertrags.

Nach § 39d Einkommensteuergesetz (EStG) seien beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer nicht verpflichtet, Kirchensteuer in Deutschland zu zahlen.

Verschiedentlich werde in der Literatur ihre Ansicht bestätigt, wonach die europäischen Grundfreiheiten im Hinblick auf das deutsche Kirchensteuerrecht zu beachten seien.

Die Kläger beantragen,

den Kirchensteuerbescheid 2003 vom … 2005 und die hier...

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