rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurechnung von Einkünften und Reduzierung des Beweismaßes
Leitsatz (redaktionell)
1. Provisionsforderungen sind in den Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) einzubeziehen, sobald das vermittelte Geschäft rechtswirksam zustande gekommen ist.
2. Bei den selbstständig und mit Gewinnerzielungsabsicht vermittelten Verkäufen einer sehr großen Anzahl von Aktien (11 Transaktionen über ca. 900.000 Aktien in vier Monaten) handelt es sich nicht um gelegentliche Vermittlungsgeschäfte, die als sonstige Einkünfte zu behandeln sind, sondern um Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
3. Die Anwendung der Regeln über die Feststellungslast stellt nur eine „ultima ratio” dar. Zuvor muss das FG sich selbst um Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bemühen und dazu auch die Beteiligten – einschließlich eines Beigeladenen – heranziehen.
4. Bleiben die gerichtlichen Versuche zur Sachaufklärung erfolglos, weil ein Beteiligter, der über eine besondere Beweisnähe verfügt, die ihm zumutbare Mitwirkung an der Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 S. 3 FGO) verweigert, hat das FG vor einer Anwendung der Regeln über die Feststellungslast zu erwägen, ob das im konkreten Einzelfall für die richterliche Überzeugungsbildung erforderliche, aber auch ausreichende Beweismaß gegenüber dem Regelbeweismaß zu reduzieren ist.
5. Verweigert ein Beteiligter die Mitwirkung, kommt vor einer Anwendung der Regeln über die Feststellungslast eine Reduzierung des Beweismaßes in Betracht. Das Beweismaß kann sich dann auch auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit” verringern.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 22 Nr. 3, § 4 Abs. 1; AO § 174 Abs. 5, § 15 Abs. 1; FGO § 60 Abs. 3, § 76 Abs. 1, §§ 82, 84, 96; ZPO §§ 383, 378
Tenor
1. Unter Änderung der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2003 und der Einkommensteuerbescheide 2000 vom 28. Januar 2004 und 27. Februar 2006 wird die Einkommensteuer 2000 des Beigeladenen auf 157.230,95 EUR heraufgesetzt.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte – das Finanzamt (FA) – bei dem Beigeladenen im Streitjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb berücksichtigen muss.
I.
Die Streitsache befindet sich im dritten Rechtsgang.
Der Beigeladene war Vorstandsvorsitzender der […] (S-AG). [… Mitte des Jahres 2000] trat er von seinem Amt als Vorstandsvorsitzender zurück. Der Beigeladene und seine zwischenzeitlich von ihm geschiedene Ehefrau […] (RS) wurden aufgrund ihres Antrages vom 8. Januar 2002 für das Jahr 2000 getrennt veranlagt. Der Beigeladene teilte dem FA mit, dass eine Erstellung der Einkommensteuererklärung für 2000 nicht möglich sei, da diverse Unterlagen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt seien.
Das FA erhielt Ende des Jahres 2001 Informationen, dass der Beigeladene für die Vermittlung von Verkäufen von Aktien der S-AG Provisionen in nicht unerheblicher Höhe erhalten habe. Die Provisionen habe er von dem Kläger erhalten, der zu diesem Zeitpunkt bei der […] (S-Bank) als Analyst für IT-Firmen im Unternehmensbereich Research angestellt gewesen war. Dort war er bis zu seinem Ausscheiden [… Ende 2000] u.a. für die Beobachtung und Bewertung der S-AG zuständig gewesen. Das FA schätzte deshalb gegenüber dem Beigeladenen zuerst im Einkommensteuervorauszahlungsbescheid für das vierte Vierteljahr 2000 vom 11. Februar 2002 und danach ebenso im Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 5. Juli 2002 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 500.000 DM.
Zur Begründung des gegen diese Steuerbescheide erhobenen Einspruchs trug der Beigeladene vor, dass der Kläger im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren behauptet habe, dass Provisionen für ihn vorgesehen gewesen seien. In den Akten der Staatsanwaltschaft befänden sich aber keine Unterlagen, die beweisen würden, dass die Gelder vom Kläger an ihn auch ausbezahlt worden seien.
Das FA zog darauf den Kläger zum Einspruchsverfahren des Beigeladenen gemäß § 174 Abs. 5 Abgabenordnung (AO) hinzu. Der Kläger trug in diesem Einspruchsverfahren vor, dass er zusammen mit dem Beigeladenen und […] (FV) in der Zeit von Januar 2000 bis Mai 2000 elf Verkäufe von großen Aktienpaketen von Aktien der S-AG erfolgreich vermittelt habe. Er und der Beigeladene hätten für die Vermittlungen insgesamt Gelder von 2.184.784,36 DM erhalten, die auf Veranlassung von FV auf das Konto von […] (KF) überwiesen worden seien. KF habe dafür eine Gegenleistung von 20.000 DM erhalten. Er habe Provisionen in Höhe von 1.590.344 DM und der Beigeladene habe Provisionen in Höhe von 574.440 DM (Schreiben vom 17. April 2003, Einspruchs-Akte Bl 70) erhalten. Die Provisionen seien vom Kläge...