Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbscheinserteilung als nachträgliches Ereignis i.S. des § 175 AO 1977. Keine Hinweispflicht nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 bei Bestehen einer Änderungsmöglichkeit nach der AO 1977. Abgrenzung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung. Erbschaftssteuer
Leitsatz (amtlich)
1. Die Erteilung eines Erbscheins durch das Amtsgericht stellt ein nachträgliches Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 dar.
2. Unterbleibt der Hinweis auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung i.S. des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977, ist dies unschädlich, wenn der angegriffene Steuerbescheid auch nach der Einspruchsrücknahme zum Nachteil des Einspruchsführers aufgrund der Änderungsvorschriften der AO 1977 geändert werden kann (hier: Änderung eines ErbSt-Bescheides nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977).
3. Die Zuwendung eines Grundstücks als dem Wert nach wesentlicher Nachlassgegenstand kann als Erbeinsetzung (hier: als Miterbe) anzusehen sein, auch wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist und der Nachlass durch weitere Verfügungen von Todes wegen erschöpft wurde.
4. Eine erbschaftsteuerlich zu beachtende, weil zur Verschiebung von Erbquoten führende Teilungsanordnung gem. § 2048 BGB liegt nicht vor, wenn vom Erblasser von vornherein festgesetzte Erbquoten fehlen und die Teilungsanordnung selbst die Erbquoten (mittelbar) festlegt.
5. Die Anordnung eines Vorausvermächtnisses erfordert, dass den Erben bzw. Miterben neben ihrer Erbeinsetzung ein bestimmter einzelner Gegenstand besonders zugeordnet wird (hier: Abgrenzung zur Zuwendung einzelner Gegenstände im Rahmen der durch eine Teilungsanordnung mittelbar bestimmten Erbquote).
Normenkette
ErbStG 1974 § 3 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 2365; AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 367 Abs. 2 S. 2; BGB §§ 2048, 2150, 2366, 1939, 2032; AO 1977 § 132
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger (Kl) ein ihm testamentarisch vermachtes Einfamilienhaus als Erbe im Rahmen seiner Erbquote oder als Vorausvermächtnisnehmer (§ 2150 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB–) nur mit dem Einheitswert (EW) zu versteuern hat.
I.
Die am 1. Juni 1985 verstorbene … (Erblasserin – Erblin–) hat mit Testament vom 2. Februar 1981 ohne ausdrückliche Erbenbestimmung u.a. folgende „Legate” ausgesetzt. Der Kl sollte ihr Einfamilienhaus …, 9 (EW 1.1.1974 35.500 DM) und 35.000 DM sowie ein Sparguthaben i.H. von 10.000 DM (zur Deckung der Beerdigungskosten und ähnlichem) erhalten. … sollte die Eigentumswohnung (ETW) der Erblin in … und Goldstücke erhalten. Andere Personen sollten Geldbeträge im Wert zwischen 5.000 und 25.000 DM erhalten. Den verbleibenden Rest ihres Vermögens – die Erblin hatte zum Todestag Wertpapiere und Bankguthaben in Höhe von ca. 410.000 DM – sollte … zusätzlich zu einem Betrag von 150.000 DM erhalten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Testament Bezug genommen. Entsprechend den getroffenen Anordnungen der Erblin hat der Testamentsvollstrecker (TV) … den Nachlaß verteilt. Mit notariellem Vertrag vom 13. August 1985 wurde das Einfamilienhaus der Erblin (Urk.Nr. 1789/1985) auf den Kl übertragen.
Mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abgabenordnung (AO) stehenden Erbschaftssteuer – ErbSt – Bescheid vom 16. Oktober 1985 setzte der Beklagte entsprechend einem steuerpflichtigen Erwerb des Kl i.H. von 1 20.848 DM die ErbSt auf 30.628 DM fest. Entgegen der vom TV erstellten ErbSt-Erklärung (s. Anlage 10 a, b. c) sah er den Kl ebenso wie … nur als Vermächtnisnehmer an, während er … als Alleinerben behandelte. Demzufolge setzte er das Nachlaßgrundstück beim Kl lediglich mit dem EW (140 %) von 47.900 DM an.
Mit Schreiben vom 18. August 1985 teilte der TV, dem die Steuerbescheide gem. § 32 Abs. l Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) bekannt gegeben worden waren, dem Bekl. mit, daß sich aus der Kostenverteilung des Nachlaßgerichts ergebe, daß … nur zu 28 % Erbe geworden sei, und der Kl hingegen zu 16 % bzw. 56 % Miterben des seien. Aufgrund der mit Schreiben des TV vom 31. Oktober 1985 übersandten Nachlaßkostenberechnung des Amtsgerichts … (Nachlaßgericht) vom 7. August 1985 sah der Bekl. den Kl nunmehr als Miterben mit 56 % an und setzte mit endgültigem Steuerbescheid vom 9. Dezember 1985 für einen anteiligen Erwerb von 233.593 DM Erbst i.H. von 73.760 DM fest. Die Anordnung der Erblin hinsichtlich der Verteilung der Nachlaßgegenstände sah der Bekl. nur als erbschaftsteuerlich unbeachtliche Teilungsanordnungen an.
Während des vom Klägervertreter (K1V) eingeleiteten Einspruchsverfahrens, in dem der Kl begehrte, nach wie vor als Vorausvermächtnisnehmer besteuert zu werden, legte der TV einen von ihm beantragten Erbschein des AG vom 13. Januar 1987 vor. Den Antrag hatte der TV am 10. Januar 1986 nach Ergehen des Änderungsbescheids gestellt. In dem Erbschein wird bescheinigt, daß die Erblin vom Kl zu 63,1 %, von … zu 22,4 % und von … zu 14,5 % beerbt worden ist. Zu der Änderung der Erbquoten kam es aufgr...