rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Glaubhaftmachung von Wiedereinsetzungsgründen auch noch im Klageverfahren zulässig

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe (§ 110 Abs. 2 S. 2 AO) muss nicht innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 S. 1 AO erfolgen; vielmehr kann die Tatfrage des Vorliegens von Wiedereinsetzungsgründen im Zeitpunkt der Versäumung der Einspruchsfrist durch den Kläger bzw. dessen steuerlichen Vertreter auch noch im Termin zur mündlichen Verhandlung beim Finanzgericht im Wege der Beweisaufnahme geklärt werden.

2. Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich nach § 155 FGO, § 294 Abs. 1 ZPO aller Beweismittel bedienen, insbesondere auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden. Es handelt sich bei der Glaubhaftmachung um eine Beweisführung, die im Hinblick auf § 110 Abs. 2 S. 2 AO dem Finanzamt nur einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit vermitteln soll. Der Antragsteller muss das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes somit nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, sondern lediglich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darlegen.

 

Normenkette

AO § 110 Abs. 1, § 2 Sätze 1-2, § 355 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; FGO § 155; ZPO § 294 Abs. 1

 

Tenor

1.) Die Einspruchsentscheidung vom 28.12.2004 in Sachen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 31.03.2004 wird aufgehoben.

2.) Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der steuerliche Vertreter des Klägers innerhalb der Einspruchsfrist durch sein Kanzleipersonal einen Einspruch gegen den für das Streitjahr erlassenen Einkommensteuerbescheid verfasst und zur Post gegeben hat.

Der nicht verheiratete Kläger arbeitete im Streitjahr als angestellter Versicherungskaufmann und erzielte hieraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Beklagte (das Finanzamt) erkannte von den im Rahmen dieser Einkünfte erklärten Werbungskosten von 10.834 EUR drei Einzelbeträge in der Summe von 1.461 EUR nicht an und setzte die Einkommensteuer des Klägers für das Streitjahr dementsprechend mit an dessen steuerlichen Vertreter bekannt gegebenem Bescheid vom 31.03.2004 auf 1.184 EUR fest. Am 10.05.2004 ging beim Finanzamt ein auf den 7.05.2004 datiertes Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers in seiner damaligen Funktion als dessen steuerlicher Vertreter ein, in dem er seinen „Einspruch vom 26.04.2004” unter Vorlage einer Bestätigung des Klägers vom 5.05.2004 begründete. Mit Schreiben vom 11.05.2004 teilte ihm das Finanzamt mit, dass das behauptete Einspruchsschreiben dort nicht eingegangen sei, die Einspruchsbegründung aber als Änderungsantrag gewertet würde. Mit Antwortschreiben vom 17.05.2004 trug der Prozessbevollmächtigte des Klägers beim Finanzamt vor, das o.g. Einspruchsschreiben am Tag der Fertigung und damit fristgerecht zur Post gegeben zu haben und beantragte Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist. Auf die Aufforderung des Finanzamts mit Schreiben vom 19.05.2004, Wiedereinsetzungsgründe vorzutragen, teilte der Prozessbevollmächtigte dem Finanzamt mit Schreiben vom 24.06.2004 mit, das seinerzeitige Einspruchsschreiben durch seine Kanzleisekretärin zur Hauptpost in U gebracht zu haben. Außerdem erklärte er, in seiner Kanzlei kein Postausgangsbuch zu führen. Im weiteren Verlauf legte er eine schriftliche, auf den 19.07.2004 datierte und von einer Kanzleisachbearbeiterin sowie der Kanzleisekretärin unterschriebene Erklärung vor. Erstere bestätigte hierin, das Einspruchsschreiben der Sekretärin zur Fertigung übergeben und schließlich selbst unterschrieben zu haben. Letztere bestätigte, das Einspruchsschreiben kuvertiert, frankiert und selbst am 26.04.2004 zur Hauptpost in U gebracht zu haben. Das Finanzamt lehnte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und verwarf den Einspruch wegen Verspätung als unzulässig mit Einspruchsentscheidung vom 28.12.2004.

Mit fristgerecht eingegangenem Schriftsatz vom 25.01.2005 erhob der Kläger ausdrücklich nur gegen die Einspruchsentscheidung Klage, die er mit seinem Schriftsatz vom 17.05.2005 wie folgt begründet: Die Einspruchsentscheidung sei aufzuheben, weil die Einspruchsfrist vom Kläger unverschuldet versäumt worden sei und ihm deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden müsse. Das Einspruchsschreiben sei rechtzeitig gefertigt und versendet worden. Auf den Umstand, dass in der Steuerkanzlei kein Postausgangsbuch geführt werde, komme es nicht an. Als Nachweis legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Gericht die o.g. schriftliche Erklärung seiner beiden Mitarbeiterinnen vom 19.07.2004, die Kopie der Mandantenkarteikarte, ein auf den 30.04.2004 datiertes Schreiben der Kanzlei an den Kläger mit der Information über die nur teilweise Anerkennung der Werbungskosten sowie ein auf den 5.05.2004 datiertes Antwortschreiben des Klägers an seinen steuerlichen Vertreter vor. Außerdem wendete sich der Kläger in seiner Klagebegründung erstmals auch gegen den zug...

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