rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung von Steuerbescheiden
Leitsatz (redaktionell)
1) Wechselt ein Steuerpflichtiger innerhalb weniger Jahre insgesamt dreimal den Wohnsitz und ist eine Zustellung des Steuerbescheids an einen dieser Wohnsitze mehrfach gescheitert, so sind die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung noch nicht erfüllt. Dies gilt vor allem dann, wenn es auskunftsbereite Verwandte gibt oder das Einwohnermeldeamt angekündigt hat, bei der Ermittlung einer Mobilfunknummer des Steuerpflichtigen behilflich zu sein.
2) Hat die Finanzbehörde den Eindruck, dass der Adressat des Steuerbescheids seinen Wohnsitz verheimlichen will, so ist das noch kein genügender Grund, die öffentliche Zustellung vorzunehmen.
Normenkette
VwZG a.F. § 15 Abs. 1 Buchst. a; AO § 122 Abs. 5 S. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung von Steuerbescheiden vorgelegen haben.
Der Kläger ist als Sänger und Schauspieler tätig; er hat Auftritte u. a. auf Kreuzfahrtschiffen und Werbeveranstaltungen.
Am 29. Oktober 2002 teilte der vormalige Steuerberater des Klägers dem damals zuständigen Finanzamt (FA) A-Stadt mit, dass er nicht mehr für den Kläger tätig sei und der Kläger seinen Wohnsitz nunmehr unter einer näher bezeichneten Anschrift in B-Stadt im Haus seiner Mutter habe. Auf eine entsprechende Anfrage des FA B-Stadt teilte der Kläger persönlich diesem FA mit Schreiben vom 15. Januar 2003 mit, sein Lebensmittelpunkt befinde sich weiterhin in A-Stadt. Er halte sich zwar häufig im Wohnhaus seiner Mutter in B-Stadt auf und besitze dort auch ein Appartement; dies diene aber hauptsächlich als Anlaufstelle für Fanclubmitglieder und zur Erledigung der Fanpost. Am 2. Oktober 2003 erklärte der Kläger auf telefonische Anfrage des FA A-Stadt, er habe seinen Wohnsitz zum 1. August 2003 nach C-Stadt verlegt. Auf Anfrage des FA C-Stadt V teilte der Kläger diesem FA am 3. Februar 2004 telefonisch mit, sein Wohnsitz befinde sich seit dem 1. November 2003 in der X.-Straße 7 in D-Stadt. Daraufhin übernahm der Beklagte, das FA D-Stadt (FA), die Akten vom FA A-Stadt. Ein Schreiben des FA für Steuerstrafsachen vom 15. April 2004 wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde unter der Anschrift in D-Stadt zugestellt.
Am 10. August 2004 gab das FA nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1998 bis 2000, geänderte Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember der Jahre 1998 bis 2000 sowie erstmalige Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2001 bis 2003 (Schätzungsbescheide ohne Vorbehalt der Nachprüfung) mit einfachem Brief an die Anschrift in D-Stadt zur Post. Die Bescheide kamen mit dem Hinweis zurück, dass der Empfänger dort nicht zu ermitteln sei. Am 13. August 2004 teilte das Einwohnermeldeamt auf telefonische Anfrage des FA mit, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift gemeldet, „aber nie anzutreffen” sei. Ein Vollziehungsbeamter der Stadt wolle aber die Mobiltelefonnummer des Klägers in Erfahrung bringen und dessen aktuellen Wohnsitz ermitteln. Noch am selben Tage nahm das FA die öffentliche Zustellung der Steuerbescheide vor. Das FA mahnte die in den Steuerbescheiden angeforderten Nachzahlungen am 1. Oktober 2004 schriftlich an.
Am 8. und 12. Oktober 2004 rief der Kläger beim FA an. Er erklärte, zwar die Mahnungen, nicht aber entsprechende Steuerbescheide erhalten zu haben, und weiterhin unter der dem FA bekannten Adresse zu leben. Am 23. November 2004 reichte der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen Steuererklärungen für die Jahre 2001 und 2002 ein und bat „um Stundung und um Aussetzung der Vollziehung und Vollstreckung aus den Mahnungen vom 1. Oktober 2004”. Am 3. Dezember 2004 machte er die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung geltend und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das FA lehnte den Wiedereinsetzungsantrag am 7. Dezember 2004 mit der Begründung ab, es sei kein Einspruch eingelegt worden. Am 28. Dezember 2004 reichte der Bevollmächtigte des Klägers die Steuererklärungen für 2003 ein und bat um Zusendung der öffentlich zugestellten Steuerbescheide.
Auf entsprechende Anfrage teilte die AOK … dem FA am 24. Januar 2005 mit, dass ihr Vollziehungsbeamter am 12. Oktober 2004 mit Herrn … (B), dem Vermieter des Grundstücks in D-Stadt, gesprochen habe. B habe sich dahingehend geäußert, dass der Kläger sich dort nur für das Einwohnermeldeamt angemeldet, jedoch nie ein Zimmer bewohnt habe. Die eingehende Post übersende B nach B-Stadt, von wo sie nicht zurück komme. Ferner habe die Mutter des Klägers dem Vollziehungsbeamten am 24. Juni 2004 die letzten Wohnorte des Klägers (A-Stadt, C-Stadt, D-Stadt) mitgeteilt und hinzugefügt, der Kläger habe in letzter Zeit nicht bei ihr gewohnt.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2005 lehnte das FA „Ihren Antrag auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2003” ...