Entscheidungsstichwort (Thema)
Differenzkindergeldberechtigung eines in Deutschland sozialversicherungspflichtig selbständig Tätigen für ein Kind aus erster Ehe in Polen
Leitsatz (redaktionell)
Ein Elternteil, der in Deutschland sozialversicherungspflichtig selbständig tätig ist, ist für sein Kind, das bei dem geschiedenen anderen berufstätigen Elternteil lebt und für das polnische, dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen bezogen werden, differenzkindergeldberechtigt.
Normenkette
EStG § 64 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1; VO Nr. 883/2004 (EG) Art. 11; EStG § 63 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der in Deutschland lebende Kläger für sein im Haushalt der Kindesmutter in Polen lebendes Kind Anspruch auf inländisches Kindergeld hat. Betroffen ist nur noch der Streitzeitraum von Mai 2010 bis Juni 2011.
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er lebt seit geraumer Zeit zusammen mit seiner Ehefrau und seiner im Jahr 2003 geborenen Tochter O in Deutschland. Seit November 2009 führt der Kläger einen Handwerkerservice-Betrieb. Er leistet Beiträge zur deutschen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung.
Sein Sohn aus erster Ehe (L, geb. ….1996) lebte im Streitzeitraum im Haushalt der Kindesmutter in Polen. Die Kindesmutter war seit Dezember 2008 als Zimmer- und Reinigungskraft eines in Polen belegenen Hotels nichtselbständig tätig. Nach Angaben des Klägers bezog die Kindesmutter hieraus ein monatliches Einkommen in Höhe von ca. PLN 800 (ca. EUR 200). Ab November 2010 bis zum Ende des Streitzeitraums war sie arbeitslos. Nach Maßgabe der Bescheinigung des Kreisarbeitsamtes in L (Polen) bezog sie während ihrer Arbeitslosigkeit eine monatliche Beihilfe in Höhe von (brutto) PLN 466,20.
Am 22.02.2011 beantragte der Kläger für seinen Sohn L die Festsetzung inländischen Kindergeldes.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Familienkasse C, lehnte den Antrag mit Bescheid vom 01.06.2011 ab. Zur Begründung führte sie an, L lebe nicht im Haushalt des Klägers, sondern bei der Kindesmutter in Polen, so dass ein Kindergeldanspruch des Klägers im Inland nach § 64 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht bestehe.
Die Familienkasse C wies den gegen den Ablehnungsbescheid erhobenen Einspruch mit Bescheid vom 16.06.2011 als unbegründet zurück. Sie vertrat die Auffassung, dass der Kindergeldanspruch der Mutter in Polen gegenüber dem deutschen Kindergeldanspruch des Klägers vorrangig sei. Zudem lebe L nicht im Haushalt des Klägers, sondern in dem der Mutter in Polen. Vor diesem Hintergrund sei die Kindesmutter auch nach deutschem Kindergeldrecht vorrangig Berechtigte i.S. von § 64 EStG.
Der Kläger hat am 18.07.2011 Klage zum Finanzgericht erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass er nach den inländischen Rechtsvorschriften für sein im europäischen Ausland lebendes Kind Anspruch auf die Festsetzung von Kindergeld habe. Nach Maßgabe der ganz vorherrschenden finanzgerichtlichen Rechtsprechung sei dieser Anspruch nicht durch § 64 EStG ausgeschlossen, da der Haushalt des Kindes in Polen kein inländischer sei und demnach keine inländische Konkurrenzsituation bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klagebegründungsschriftsätze vom 18.07.2011, 21.01.2013, 11.03.2013, 19.03.2013, 23.03.2013, 18.04.2013, 13.03.2014 sowie 06.05.2014 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 01.06.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.06.2011 zu verpflichten, für das Kind L für den Zeitraum von Mai 2010 bis Juni 2011 inländisches Kindergeld festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält im Ergebnis an der von der Familienkasse C im außergerichtlichen Verfahren vertretenen Rechtsauffassung fest. Ergänzend führt sie an, dass nach Art. 60 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 die Situation der gesamten Familie in der Weise zu berücksichtigen sei, als würden alle beteiligten Personen unter die deutschen Rechtsvorschriften fallen und in Deutschland wohnen. Aufgrund der Wohnsitzfiktion in Deutschland erfülle daher auch ein im EU-Ausland lebender Elternteil die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG, so dass beide Elternteile auch Berechtigte i.S. von § 62 EStG sein könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die beigezogene Kindergeldakte.
Der Berichterstatter hat in dieser Sache am 12.06.2014 mit den Beteiligten und ihren Vertretern den Sach- und Streitstand erörtert. Die Beklagte hat im Erörterungstermin für den Zeitraum von Mai 2007 bis April 2010 dem Klagebegehren insoweit abgeholfen, als sie Differenzkindergeld gewährt hat. Für die Monate Februar bis April 2007 hat der Kläger von seinem Klagebegehren Abstand genommen (vgl. insoweit 4 K 1859/14 Kg). Auf das Sitzungsprotokoll vom selben Tag wird ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
1. Die Familienka...