Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeitskonzentration auf ein Finanzamt für bestimmte Fragen des Außensteuerrechts nach § 12 FA-ZVO NRW
Leitsatz (redaktionell)
1. Der sog. Grundsatz der Gesamtzuständigkeit gilt (lediglich) im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit und nicht im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit.
2. Die sachliche Zuständigkeit beschreibt gegenständlich den Tätigkeitsbereich einer Behörde, also die Zuordnung einer bestimmten Aufgabe des materiellen Sachrechts an eine Verwaltungseinheit.
3. Zuständigkeitskonzentrationen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG führen dazu, dass das bisher zuständige FA die sachliche Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben verliert und das zentral zuständige FA für die übertragene Aufgabe sachlich und in seinem Bezirk zugleich örtlich zuständig wird.
4. Eine analoge Anwendung des § 12 Nr. 3 FA-ZVO scheidet aus.
Normenkette
FA-ZVO §§ 1-2, 12; FVG § 17 Abs. 2 S. 3; AO § 16
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2014 (Streitjahre), insbesondere über die Zuständigkeit des Beklagten, die Änderungsbefugnis, die Festsetzungsverjährung und die Höhe der sonstigen Einkünfte aus Leistungen.
Die verheirateten Kläger waren in den Jahren 2007 bis 2014 im Inland in X, Zuständigkeitsbereich des FA X, wohnhaft und verzogen sodann in das außereuropäische Ausland (A). Am 27.05.2014 meldeten sich die Kläger beim Einwohnermeldeamt ab. In den im Mai 2015 abgegebenen Steuererklärungen 2011, 2012, 2013 gaben die Kläger eine Anschrift in X an; auch die dabei eingereichten Ausdrucke der elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen und Verdienstnachweise wiesen eine Anschrift in X aus, soweit diese vor dem Jahr 2015 erstellt wurden; die im Jahr 2015 ausgestallten Ausdrucke der elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen und Verdienstnachweise wiesen die im Rubrum genannte Anschrift in den A aus. Die durch die A ausgestellte sog. Resident Identity Card des Klägers lief am 23.02.2019 ab.
Für die Jahre 2007 bis 2010 gaben die Kläger keine Einkommensteuererklärungen ab. Für die Jahre 2011 bis 2014 erklärten die Kläger mit Steuererklärungen im Mai 2015 Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Tätigkeit; die Bescheide für diese Jahre ergingen am 10.07.2015.
In den Jahren 2017 bis 2019 führte das Finanzamt für Zentrale Prüfungsdienste … hinsichtlich der Streitjahre bei dem Kläger eine Außenprüfung durch, die im Wesentlichen zu folgenden Feststellungen kam:
In den Streitjahren habe der Kläger von der Fa. W Zahlungen i.H.v. insgesamt ca. X Mio. € erhalten (…) Hintergrund der Zahlungen sei ein in englischer Sprache verfasster Vertrag zwischen W und Q mit Sitz im außereuropäischen Ausland. In diesem Vertrag werde geregelt, dass die Q zusätzliche Umsätze für die W generiere. Als Gegenleistung bekomme die Q die Hälfte der daraus resultierenden Gewinne als Provision. Der Weg des Geldes vom Konto der W über das Konto der Q im europäischen Ausland zum Konto im europäischen Ausland der L mit Sitz im außereuropäischen Ausland sei nachgewiesen. Von dem Konto in Schweden seien Zahlungen i.H.v. ca. X Mio. € für den Bau eines Hauses auf den Namen der L bezahlt worden. Nach Fertigstellung sei der Kläger Eigentümer des Hauses geworden. Der Kläger sei wirtschaftlich Berechtigter der L und damit auch schlussendlich der Empfänger der Zahlungen gewesen.
In den Streitjahren sei der Kläger Abteilungsleiter bei der inländischen Fa. P gewesen. In dieser Eigenschaft sei er dafür verantwortlich gewesen, dass die W als Distributor für das Gas G eingesetzt werde. Aufgrund der damaligen Marktsituation (Monopol der Fa. P) seien mit dem Verkauf dieses Gases große Gewinne erwirtschaftet worden.
Die W habe Zahlungen an den Kläger geleistet, um Waren von der P zu erhalten. Im Streitzeitraum sei dies hauptsächlich das Gas G gewesen, das die W als einziger Distributor der P erhalten habe und damit auch das Monopol. Da es bei der Entscheidung, wer Vertriebspartner für das Gas G werde, kein Auswahlverfahren gegeben habe, sei die W in unlauterer Weise bevorzugt worden. Damit seien diese Zahlungen als Bestechungsgelder anzusehen.
Die Zahlungen der Bestechungsgelder seien unter Einschaltung zweier Briefkastenfirmen, die im außereuropäischen Ausland registriert worden seien, vollzogen worden.
Die Bestechungsgelder seien als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG steuerpflichtig.
Für weitere Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Bericht über steuerliche Feststellungen vom 15.04.2020 und den Bericht über Steuerstraftaten vom 15.04.2020. Beide Berichte wurden den Klägern mit Schriftsatz des Beklagten vom 03.06.2020 übersandt.
Gegen den Kläger wurden durch die Staatsanwaltschaft M wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und die Staatsanwaltschaft N wegen Steuerhinterziehung strafrechtliche Ermittlungsverfahren geführt.
Am 03.06.2020 erließ der Beklagte in Umsetzung der Feststellungen der Außenprüfung entsprechende (erstmalige) Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2010 sowie nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenor...