Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachliche Unbilligkeit bei Festsetzung von Zinsen auf Steuernachzahlungen
Leitsatz (redaktionell)
Es ist nicht sachlich unbillig, Zinsen auf Steuernachforderungen für den Veranlagungszeitraum 1996 festzusetzen, wenn gleichzeitig Steuererstattungen für den Veranlagungszeitraum 1985 und 1986 festgesetzt werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 227, 233a
Tatbestand
Streitig ist, ob Nachforderungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind.
Die Kläger (Kl.) sind Eheleute, die gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt werden. Aufgrund einer Mitteilung über Beteiligungseinkünfte des Streitjahres 1996 änderte das Finanzamt (FA) mit Bescheid vom 17.01.2001 die Steuerfestsetzung. Die Steuernachforderung betrug 2.647 DM. Die festgesetzten Nachzahlungszinsen beliefen sich auf 429 DM. Einen Antrag auf Aufhebung der Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen lehnte der Beklagten (Bekl.) ab. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.
Die Kl. sind der Auffassung, dass die Festsetzung der Zinsen sachlich nicht gerechtfertigt sei. Denn mit Steuerbescheiden vom 10.10.2000 seien ihnen, den Kl., wegen unzutreffender Berücksichtigung ihrer Kinder Einkommensteuerbeträge 1985 und 1986 in Höhe von insgesamt 4.137,64 DM erstattet worden. Für diese Erstattungen, auf die sie, die Kl., rund 15 Jahre gewartet hätten, seien keine zusätzlichen Zinsen erstattet worden.
Der potentiellen Steuerforderung von 2.647 DM hätten somit erheblich höhere Rückzahlungsansprüche gegenüber gestanden. Hätte das Finanzamt aber seine Ansprüche mit den Erstattungen aufgerechnet, wäre insgesamt immer noch ein Erstattungsanspruch der Kl. übrig geblieben. Es sei nicht gerechtfertigt, bei dieser Sachlage sogar noch Nachforderungszinsen festzusetzen. In einem ähnlichen Fall habe das Finanzgericht Schleswig Holstein mit Urteil vom 19.03.1998 auch zugunsten der dortigen Kl. entschieden.
Ferner sei zu bedenken, dass der Gesetzgeber, als er die Vollverzinsung eingeführt habe, Situationen wie hier im Streitfall nicht habe vorhersehen können. Hätte er aber einen solchen Fall erkannt, hätte er mit Sicherheit eine andere Lösung gewählt. Bereits aus diesem Grunde sei im Billigkeitswege der notwendige Steuererlass vorzunehmen.
Hinzu komme, dass der Bekl. unzutreffenderweise von einem Liquiditätsvorteil ausgehe. Hier sei aber zu bedenken, dass ein Liquiditätsvorteil nicht gegeben sei, da der Rückforderungsanspruch schon bestanden habe, bevor die Rückzahlungsansprüche überhaupt entstanden gewesen seien.
Unabhängig von diesen sachlichen Erwägungen habe der Bekl. auch nicht berücksichtigt, dass sie, die Kl., keinen Einfluss auf das Verfahren zur Feststellung der Beteiligungseinkünfte gehabt hätten. Sie hätten damit auch die Verzögerung bei der Feststellung der Einkünfte nicht zu vertreten. Auch aus diesem Grunde sei es ermessensgerecht, die angefallen Zinsen zu erlassen.
Die Kl. beantragen
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 14.02.2002 und der Einspruchsentscheidung (EE) vom 26.07.2002 den Bekl. zu verpflichten, den Kl. die Nachforderungszinsen zur Einkommensteuer 1996 in Höhe von 429 DM zu erlassen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Gründe seiner EE und ist der Meinung, dass die Voraussetzungen für einen Erlass der Zinsen nicht vorlägen.
Der Senat entscheidet gemäß § 94 a Finanzgerichtsordnung (FGO) nach billigem Ermessen ohne mündliche Verhandlung, da der Streitwert 1.000,00 DM nicht übersteigt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Der Bekl. hat die streitigen Zinsen zu Recht nicht erlassen.
Nach § 227 Abgabenordnung (AO) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig ist.
Eine sachliche Unbilligkeit im Sinne von § 227 AO kann gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes jedoch nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (BFH-Urteil vom 25. November 1997 IX R 28/96 BFHE 185,94, BStBl II 1998. 550). Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen keinen Erlass nach § 227 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen (BFH-Urteil vom 25. November 1997 IX R 28/96 a. a. O.). Ein Erlass aus Billigkeitsgründen darf nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung eines den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen (BFH-Urteil vom 25. November 1997 IX R 28/96 a. a. O.). Andererseits darf sich eine Billigkeitsprüfüng nicht in Überlegungen zur richtigen Rechtsanwendung erschöpfen. Bei der Konkretisierung der sachlichen Unbilligkeit sind auch die Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten. So muss ein Fehlverhalten der Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren, insbesondere eine falsche Behandlung der Sach- und Rechtslage durch die Finanzverwaltung in die Würdigung mit einbezogen wer...