Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes der Aussetzungszinsen. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VIII R 9/23)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Vollverzinsung nach § 233a AO ist deshalb verfassungswidrig, weil das Differenzierungskriterium des Zeitpunktes der Steuerfestsetzung nicht in der Hand des Steuerpflichtigen liegt.

2. Übertragen auf die Aussetzungszinsen ist im Hinblick auf eine etwaige verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ersichtlich.

3. Nach § 233a AO zinszahlungspflichtige Steuerschuldner sind nicht mit Steuerschuldnern vergleichbar, die Aussetzungszinsen zu zahlen haben, da der Anfall von Aussetzungszinsen nicht durch eine etwaige Verzögerung der Finanzbehörden veranlasst wird, sondern allein durch die Steuerpflichtigen, die die Aussetzung der Vollziehung in Anspruch nehmen und schlussendlich mit ihrem Rechtsbehelf nicht durchdringen.

4. Dem Gesetzgeber ist die willkürlich ungleiche Behandlung von Sachverhalten, die in wesentlichen Punkten gleich sind, untersagt.

5. Die Höhe der Aussetzungszinsen ist auch in einer Niedrigzinsphase durch den vom Gesetzgeber intendierten Normzweck gedeckt.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; AO §§ 233a, 234-235, 237-238; GG Art. 2 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Zinssatzes gem. § 238 der Abgabenordnung (AO) für die Festsetzung von Aussetzungszinsen i.S. des 237 AO.

Aufgrund eines zwischen den Beteiligten geführten Rechtsstreits betreffend die Einkommensteuer sowie Solidaritätszuschlag des Jahres 2012 setzte der Beklagte die festgesetzte Steuer sowie den festgesetzten Solidaritätszuschlag i.H.v. 22.600,00 €, bzw. 1.350,00 € auf Antrag des Klägers ab Fälligkeit von der Vollziehung aus. Der Rechtsstreit (Einspruchsverfahren sowie anschließendes Klageverfahren) endete mit einer am 15.04.2021 getroffenen tatsächlichen Verständigung im Rahmen einer unter dem Aktenzeichen 6 K 545/16 E anhängigen Klage. Die Klage hatte hinsichtlich des Einkommensteuerbescheids 2012 keinen Erfolg.

Mit Bescheid vom 07.06.2021 setzte der Beklagte unter Berücksichtigung eines Zinslaufs vom 22.09.2014 bis zum 15.04.2021 (78 volle Monate) und eines Zinssatzes i.H.v. 0,5 % pro Monat Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 2012 i.H.v. 8.814,00 € sowie zum Solidaritätszuschlag 2012 i.H.v. 526,00 € fest.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit Einspruch vom 14.06.2021. Der Einspruch richtete sich zunächst gegen die Höhe des Zinssatzes und ruhte antragsgemäß wegen verfassungsrechtlicher Bedenken. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in den Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 (Beschluss vom 08.07.2021, Veröffentlichung am 18.08.2021, BVerfGE 158, 282) wurde das Einspruchsverfahren wieder aufgenommen. Der Beklagte setzte den Kläger mit Schreiben vom 14.03.2022 hierüber in Kenntnis. Daraufhin teilte der Kläger mit, er wende sich nunmehr gegen die Verzinsung, soweit der Zeitraum nach dem 31.12.2018 betroffen sei.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 10.08.2022 als unbegründet zurück. Die Aussetzungszinsen seien hinsichtlich des gesamten Verzinsungszeitraums nicht zu beanstanden. Der Zinssatz betrage 0,5 % pro Monat. Zwar habe das BVerfG entschieden, dass § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar sei, soweit der Zinsberechnung für die Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde gelegt werde. Nach dem BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 Rn. 242 komme eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der AO zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nicht in Betracht. Die vom BVerfG geforderte gesetzliche Anpassung des Zinssatzes für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 gelte nur für Zinsen nach § 233a AO und erstrecke sich nicht auf Aussetzungszinsen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 30.08.2022 erhobenen Klage und führt zur Begründung aus, dass der streitgegenständliche Zinsbescheid rechtswidrig sei, soweit Zinsen i.H.v. 3.232,75 € ab dem 01.01.2019 angefallenen und festgesetzt worden seien. Das BVerfG habe in seinem Beschluss vom 08.07.2021 über die Höhe des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. §§ 234237 AO ausdrücklich nicht entschieden, sondern diesen nur in einem obiter dictum erwähnt. Es habe insoweit eine eigenständige, spätere verfassungsrechtliche Wertung für notwendig angesehen. Das BVerfG habe zu den Regelungen der §§ 234, 235 und 237 AO nur im Rahmen der Unvereinbarkeitserklärung ab dem 01.01.2014 eine Aussage getroffen. Für den Zeitraum ab dem 01.01.2019 lasse es die anderen Verzinsungsregeln unerwähnt. Hieraus ziehe der Kläger den Rückschluss, dass auch die anderweitigen Verzinsungsregelungen ab dem 01.01.2019 nicht mehr verfassungskonform seien. Denn dem Nachteil von 6 % Zinsen stehe bis zum 31.12.2018 der Vorteil ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?