Entscheidungsstichwort (Thema)
Billigkeitsmaßnahme gemäß BMF-Schreiben vom 19.2.2003 bei Grundstücksverkäufen vor dem 1.6.2002
Leitsatz (redaktionell)
Bei Grundstücksverkäufen vor dem 1.6.2002 und Erfüllung der Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 19.2.2003 (BStBl. I 2003, 171) zur Drei-Objekt-Grenze hat der Stpfl. auch ohne Antrag einen Anspruch auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen. Dies gilt auch, wenn der Aufgriff des Falles nicht erst im Zuge des BFH-Beschlusses v. 10.12.2001 - GrS 1/98, BStBl. II 2002, 291 erfolgte.
Normenkette
AO § 163; EStG § 15 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob der Beklagte eine durch die Kläger beantragte Billigkeitsmaßnahme gem. § 163 Abgabenordnung (AO) ermessensfehlerhaft abgelehnt hat.
Die Kläger sind Eheleute und wurden für das Jahr 1995 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Ehefrau des Klägers errichtete in den Jahren 1994 und 1995 auf dem Grundbesitz A-Straße 1 in D ein Mehrfamilienhaus mit sieben Wohneinheiten. Drei dieser Wohnungen wurden mit Verträgen vom 31.10.1994, 06.12.1994 und 16.03.1995 veräußert. Die Wohnungen wurden am 31.07.1995 fertiggestellt. Die nicht veräußerten Objekte wurden vermietet.
Im Rahmen einer bei den Klägern wegen Unregelmäßigkeiten bei der Erklärung der Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung durchgeführten Steuerfahndungsprüfung wurde auch dieser Sachverhalt aufgegriffen. Der Fahndungsprüfer und im Anschluss daran das Finanzamt E vertraten die Auffassung, dass die Veräußerung der drei Wohnungen durch die Klägerin die Voraussetzungen eines gewerblichen Grundstückshandels erfülle. Den demgemäß erlassenen Einkommensteuerbescheid 1995, in dem das Finanzamt E Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin i. H. v. X Euro erfasste, griffen die Kläger mit Einspruch und nachfolgend mit der Klage an. Während des unter dem Aktenzeichen 7 K 8270/99 E beim Finanzgericht Münster geführten Klageverfahrens erging die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 10.12.2001 GrS 1/98 (BStBl II 2002, 291), woraufhin der mittlerweile verstorbene damalige Klägervertreter mit Schriftsatz vom 10.03.2003 darauf verwies, dass danach auch im Fall der Klägerin die Voraussetzungen eines gewerblichen Grundstückshandels vorliegen dürften, das beklagte Finanzamt E jedoch auf Grund des BMF-Schreibens vom 19.02.2003 (IV A 6-S2240-15/03) gehalten sei, die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht auf den Fall der Klägerin anzuwenden. Die von §§ 163, 227 AO gedeckte Verwaltungsvorschrift bewirke eine entsprechende Selbstbindung der Verwaltung und sei auch von den Gerichten zu beachten. In seiner beim Gericht am 07.04.2003 eingegangenen Erwiderung vertrat das beklagte Finanzamt E die Auffassung, das BMFSchreiben vom 19.02.2003 sei auf den Fall der Klägerin nicht anzuwenden, da ihr Fall nicht in Folge der Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs aufgegriffen worden sei. In einem am 10.06.2003 beim Gericht eingegangenen Schriftsatz kündigte der damalige Klägervertreter an, einen Erlassantrag, gestützt auf § 163 AO, beim beklagten Finanzamt E stellen und eine Abschrift dem Gericht zukommen lassen zu wollen.
Der Eingang eines entsprechenden Antrags ist in der Gerichtsakte 7 K 8270/99 E nicht feststellbar, er befindet sich auch nicht in den vom Beklagten vorgelegten Steuerakten.
In dem Verfahren 7 K 8270/99 E wies das Gericht durch Urteil vom 16.07.2003 die Klage insoweit ab, als es – gestützt auf die Entscheidung des Großen Senats – einen gewerblichen Grundstückshandel der Klägerin bejahte und die Erfassung der Veräußerungsgewinne aus den Wohnungsverkäufen für rechtens erklärte. Zur Höhe des zu erfassenden Gewinns trafen die Beteiligten eine tatsächliche Verständigung. Bezüglich der Billigkeitsmaßnahme führte das Gericht folgendes aus:
„Über die Frage der Anwendung des BMF-Schreibens vom 19.02.2003 ist im vorliegenden Verfahren, das die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung betrifft, nicht zu befinden. Auf Grund dieses Schreibens kommt eine Billigkeitsmaßnahme in Betracht, über die das Finanzamt gesondert zu entscheiden hat.”
In Umsetzung der weiteren Änderungen aus dem finanzgerichtlichen Urteil erließ das beklagte Finanzamt E am 19.09.2003 einen Änderungsbescheid für das Streitjahr 1995, in dem es einen gewerblichen Gewinn der Klägerin in Höhe von X DM erfasste.
Am 10.11.2011 ging beim nunmehr für die Besteuerung der Kläger zuständigen Beklagten ein Schreiben einer von ihnen beauftragten Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzlei ein, mit dem die Kläger um Entscheidung über ihren beim Finanzamt E am 17.09.2004 eingelegten Einspruch gegen die auf Grund des Urteils geänderten Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 baten. Beigefügt war die Kopie eines Faxschreibens des vormaligen Prozessvertreters der Kläger. Zu den Einzelheiten wird auf Blatt 23 und 24 der Steuerakte Bezug genommen. Gegen die abschlägige Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012 ist unter dem Aktenzeichen 3 K ...