Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Der Antrag auf Erlass einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO unterliegt keinen zeitlichen Beschränkungen. Ebenso scheidet regelmäßig eine Verwirkung aufgrund reinen Zeitablaufs aus.
Sachverhalt
Die Klägerin errichtete in den Jahren 1994 und 1995 ein Mehrfamilienhaus mit 7 Wohneinheiten, von denen sie 3 im Jahr 1995 veräußerte. Das Finanzamt sah hierin einen gewerblichen Grundstückshandel.
Die hiergegen unter dem Az. 7 K 8270/99 E erhobene Klage hat das FG mit Urteil vom 16.7.2003 im Wesentlichen als unbegründet abgewiesen. Es führte in diesem Zusammenhang aus, dass über Billigkeitsmaßnahmen - etwa nach § 163 AO - in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden sei.
Mit Schreiben vom 11.6.2010 wandte sich die Klägerin an das Finanzamt und begehrte in Bezug auf den Gewinn aus dem gewerblichen Grundstückshandel eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO. Das Finanzamt lehnte die Gewährung ab und führte aus, dass der Antrag den Veranlagungszeitraum 1995 betreffe und damit verspätet gestellt worden sei.
Entscheidung
Das FG hat den Ablehnungsbescheid mit der Begründung aufgehoben, dass das Gesetz für den von der Klägerin begehrten Billigkeitserlass keine zeitlichen Beschränkungen vorsieht.
Im Übrigen führe reiner Zeitablauf nicht zum Rechtsverlust. Unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung müssten zum Zeitablauf vielmehr weitere Umstände hinzutreten, aus denen sich ergebe, dass ein Anspruchsberechtigter darauf vertrauen durfte, tatsächlich nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Die Klägerin habe allerdings zu keinem Zeitpunkt deutlich gemacht, sie würde ihr Begehren auf Festsetzungserlass, das bereits im Klageverfahren 7 K 8270/99 E ausdrücklich angesprochen worden war, fallen lassen.
Hinweis
Die Verwaltung vertritt im AEAO zu § 163 Nr. 4 die Auffassung, dass bei der Ermessensentscheidung der Zeitraum zwischen Entstehung des Steueranspruchs und der Antragstellung zu berücksichtigen ist und dass es regelmäßig ermessensgerecht ist, eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO abzulehnen, sobald für den Folgebescheid die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Nur ausnahmsweise kann eine Billigkeitsmaßnahme auch nach diesem Zeitpunkt getroffen werden, wenn der ihr zugrunde liegende Antrag vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt worden war.
Der BFH hat auf die Beschwerde des Finanzamts hin die Revision gegen die Entscheidung des FG zugelassen (Az. beim BFH: X R 11/14). Es bleibt abzuwarten, ob ein Urteilsspruch aus München in diesem Bereich für mehr Rechtsklarheit und -sicherheit sorgen wird.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 08.05.2013, 3 K 3461/11 AO