Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldausschluss gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG für in Polen lebendes Kind
Leitsatz (redaktionell)
Lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen, dass die in Polen lebende Kindesmutter für das in Polen lebende Kind keinen Anspruch auf polnisches Kindergeldgeld hat, ist der deutsche Kindergeldanspruch für den in Deutschland lebenden Kindesvater - der im Übrigen auch nicht in den Anwendungsbereich der EG-VO 1408/71 fällt - gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen.
Normenkette
EStG § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 65 Abs. 1 Nr. 2; AO § 90 Abs. 2; EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist die Kindergeldfestsetzung für das Kind S für den Zeitraum Mai 2004 bis September 2007.
Der Kläger ist der Vater des Kindes S, geb. 14.6.1988, das seit dem 12.11.2005 in seinem Haushalt gemeldet ist und unstreitig seit dem Januar 2006 dort auch lebt. Mit Bescheid vom 3.1.2007 wurde das am 3.5.2006 beantragte Kindergeld in Höhe von 77 Euro ab Mai 2004 festgesetzt. Die Beklagte begründete die hälftige Festsetzung des Kindergeldes damit, dass die Kindesmutter, Frau E, in Polen lebt und dort als arbeitslos gemeldet war (Bl. 29 d. Kdg-Akte). Ausweislich der Bescheinigung der Stadt T vom 21.3.2006 erhielt das Kind, dort als in T gemeldet bezeichnet, in der Zeit vom 1.5.2004 bis 21.3.2006 weder Familien- noch Pflegeleistungen der dortigen Einrichtung.
Der Kläger bezog in 2004 Sozialhilfe, ab Januar 2005 ALG II/Sozialgeld, festgesetzt und ausgezahlt vom Integrationscenter für Arbeit G. Ausweislich des Bescheides vom 30.8.2004 (Bl. 58 d. Kdg-Akte) erhielt er Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des Regelsatzes von 237 Euro. Ab dem 8.11.2004 wurde er der GAFÖG zugewiesen. Dafür erhielt er in den ersten drei Monaten monatlich eine Entschädigung für Mehraufwendungen in Höhe von 200 Euro und ab dem vierten Monat ab 250 Euro pro Monat. Die Maßnahme war auf sechs Monate befristet, mit einer Verlängerungsmöglichkeit auf neun Monate.
Das Kind ist seit dem 21.6.2006 in Deutschland arbeitslos gemeldet (Bl. 71 d. Kdg-Akte). Sie nahm vom 11.12.2006 bis 7.2.2007 an einem Integrationskurs mit Alphabetisierung teil (Bl. 83 d. Kdg-Akte). Weitere Fördermaßnahmen erfolgten in der Zeit vom 21.2.2007 bis 4.6.2007 und 30.7.2007 bis 24.8.2007 (Bl. 111 d. Kdg-Akte).
Am 23.10.2006 meldete der Integrationscenter für Arbeit G einen Erstattungsanspruch gem. § 104 SGB X bei der Beklagten an, da es für den Kläger Leistungen ohne Anrechnung von Kindergeld leiste. Ausweislich des Telefonvermerks vom 3.1.2007 (Bl. 84 d. Kdg-Akte Rückseite) leistete er für den Kläger vom Januar 2005 bis Januar 2007 Sozialleistungen ohne Anrechnung von Kindergeld. Im Bescheid vom 3.1.2007 hat die Beklagte deshalb für diesen Zeitraum den Kindergeldanspruch in Höhe von 1.925 Euro gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 SGB X als erfüllt festgestellt. Dem Kläger wurde im Bescheid vom 3.1.2007 eine Nachzahlung in Höhe von 616 Euro für die Monate Mai 2004 bis Dezember 2004 angekündigt.
Am 15.1.2007 teilte die beklagte Behörde dem Kläger mit, dass für das Kind ab Februar 2007 Kindergeld festgesetzt werde. Der Kläger wurde in diesem Schreiben über seine Mitwirkungspflichten unterrichtet. Dieses Schreiben war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Hinsichtlich der Höhe des Kindergeldes waren keine Angaben gemacht worden.
Der Kläger hatte am 12.1.2007 gegen den Bescheid vom 3.1.2007 Einspruch eingelegt und sich auf den Standpunkt gestellt, dass Kindergeld in voller Höhe festzusetzen sei, da das Kind keinerlei Leistungen im Ausland erhalte. Dies sei auch dann der Fall, wenn es einen Antrag gestellt hätte.
Am 26.2.2007 ging bei der Beklagten das ausgefüllte Formular E 411 ein. Dort war in Tz. 6.2 angekreuzt, dass in der Zeit vom 1.5.2004 bis zum Ausstellungsdatum (23.8. 2006) die Kindesmutter keinen Antrag gestellt hat.
Durch Entscheidung vom 30.8.2007 wies die Beklagte den Einspruch auf Festsetzung von Kindergeld in voller Höhe im Streitzeitraum als unbegründet zurück. Diese Entscheidung ist am 30.8.2007 zur Post aufgegeben worden (Bl. 104 d. Kdg-Akte). Aufgrund der Arbeitslosigkeit beider Elternteile des Kindes seien die Regelungen der Art. 76 bis 79 VO EWG 1408/71 und des Art. 10 DVO EWG 574/72 nicht anwendbar. Die Anspruchskonkurrenz zwischen dem deutschen Anspruch des Klägers und dem Anspruch der Kindesmutter in Polen sei deshalb nach der Auffangregelung des Art. 12 VO i.V.m. Art. 7 Abs. 1 DVO zu lösen. Gemäß Art. 7 DVO seien Leistungen, die nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedsstaaten gegenseitig gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden könnten, durch die Zahl der zu kürzenden Leistungen zu teilen. Da § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG für das deutsche Kindergeld Familienleistungen aufgrund der Kindergeldberechtigung der Kindesmutter in Polen ausschließe, sei nach Art. 7 Abs. 1 DVO das deutsche Kindergeld zwar zu zahlen, aber nur zur Hälfte. Aufgrund der Leistungen des Trägers von Sozialleistungen seien gemäß § 74 Abs. 2 EStG die Vorschriften der §§ 103 Abs. 1 SGB ...