Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung bei vorläufiger Eigenverwaltung
Leitsatz (redaktionell)
1) Geschäftsführer sind grundsätzlich auch für Zeiträume der vorläufigen Eigenverwaltung zur Zahlung der Steuerrückstände unter Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung verpflichtet. Eine Kollision mit der Massesicherungspflicht besteht nicht. Diese Pflicht wird allenfalls dann verletzt, wenn die Geschäftsführer überproportionale Steuerzahlungen leistet.
2) Ein mündlicher Widerspruch des vorläufigen Sachwalters schließt eine Haftungsinanspruchnahme des weiterhin verwaltungs- und verfügungsbefugten Geschäftsführers für Steuerrückstände nicht aus.
Normenkette
AO § 69 S. 1, § 191 Abs. 1, § 34 Abs. 3
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 04.06.2019; Aktenzeichen VII B 101/18) |
Tatbestand
Streitig ist, ob einer Haftung der Kl. die Stellung eines Antrags auf Insolvenzeröffnung und Eigenverwaltung, die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters oder ein mündlicher Widerspruch des vorläufigen Sachwalters gegen die Abführung von Steuern entgegensteht.
Die Kl. waren Geschäftsführer der X. Beteiligungsverwaltungs GmbH (X. GmbH). Diese Gesellschaft war Komplementärin der X. Beteiligungs GmbH & Co. KG (X. KG).
Im Dezember 2014 beantragte die X. KG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen und die Anordnung der Eigenverwaltung. Daraufhin bestellte das Insolvenzgericht einen vorläufigen Sachwalter. Er sollte prüfen, ob ein Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren vorliegt und welche Aussichten für die Fortführung der X. KG bestehen. Im April 2015 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und ordnete Eigenverwaltung an.
Im November 2016 erließ der Bekl. jeweils einen Haftungsbescheid gegenüber den Kl. wegen Umsatzsteuerrückständen der X. KG (Fälligkeit 11/2014 – 04/2015). Zur Begründung führte er an, dass die Kl. für den Zeitraum bis zu Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Haftung zu nehmen seien. Die Kl. hätten Forderungen anderer Gläubiger in größerem Umfang getilgt als die Umsatzsteuerrückstände der X. KG. Auf der Grundlage der von ihnen eingereichten Unterlagen sei eine Haftungsquote i. H. v. 5,88 % anzusetzen.
Hiergegen legten die Kl. Einspruch ein. Zur Begründung führten sie an, dass der Haftungszeitraum ende, sobald die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt sei. Außerdem entstehe durch die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung ein geändertes Pflichtenprogramm. Die Kl. wären gegenüber der Gesellschaft erstattungspflichtig gewesen, wenn sie die Umsatzsteuerrückstände getilgt hätten.
Der Beklagte wies die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er an, dass die dargestellte Pflichtenkollision während der vorläufigen Eigenverwaltung nicht bestände. Insbesondere schließe die von den Kl. angeführte Pflichtenkollision nicht eine grob fahrlässige Pflichtverletzung aus. Im Übrigen verwies er auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH-Urteil vom 23.09.2008 VII R 27/07, BFHE 222, 228).
Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage vertiefen die Kl. ihren bisherigen Vortrag.
Die Kl. beantragen,
die Haftungsbescheide vom 16.11.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 17.02.2017 aufzuheben;
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er verweist im Wesentlichen auf seinen bisherigen Vortrag.
Der Berichterstatter hat die Kl. darauf hingewiesen, dass die bisherige Klagebegründung dem klägerischen Vortrag aus einem bereits entschiedenen Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung entspreche. Der entscheidende Senat habe in diesem Verfahren keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Haftungsbescheide erkannt (FG Münster, Beschluss vom 06.02.2017, 7 V 3973/16, EFG 2017, 452).
Hierauf haben die Kl. ergänzend vorgetragen, dass der vorläufige Sachwalter der Abführung der Umsatzsteuer mündlich widersprochen habe.
Am 16.05.2018 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Haftungsbescheide vom 16.11.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 17.02.2017 sind rechtmäßig und verletzen die Kl. nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Einer Haftung der Kl. stehen die Stellung eines Antrags auf Insolvenzeröffnung und Eigenverwaltung, die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters und ein mündlicher Widerspruch des vorläufigen Sachwalters gegen die Abführung von Steuern nicht entgegen.
Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung, AO). Gemäß § 69 Satz 1 AO haften die in § 34 AO benannten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden.
Die Voraussetzungen des § 69 Satz 1 AO sind vorliegend erfüllt. Außerdem hat der Bekl. sein ihm gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 A...