Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Änderbarkeit bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide zur Arbeitszimmerregelung zugunsten des Steuerpflichtigen
Leitsatz (redaktionell)
1) Bestandskräftige Einkommensteuerbescheide, die ein Arbeitszimmer des Steuerpflichtigen 2007 und 2008 nicht berücksichtigen, können nicht allein aufgrund der Entscheidung des BVerfG v. 6.7.2010 - 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 = BGBl. 2010, 1157 oder der zum 1.1.2007 gesetzlich rückwirkenden Neuregelung geändert werden, wenn sie in Bezug auf die Anerkennung von Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind.
2) Ein Änderungsanspruch ergibt sich auch nicht unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG. Denn der Gesetzgeber kann ohne Gleichheitsverstoß eine Rückwirkung von begünstigenden Neuregelungen auf die noch nicht bestandskräftigen Fälle beschränken.
3) Aufwendungen eines Lehrers für ein Arbeitszimmer, dem beim Arbeitgeber kein weiterer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, können auch nicht nachträglich gem. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO berücksichtigt werden. Denn auch bei Kenntnis solcher Aufwendungen hätte das FA diese nicht zum Abzug zugelassen, so dass die Kenntnis der Tatsache nicht zu einer niedrigeren Steuer geführt hätte. Ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufgrund der gesetzlichen Neuregelung liegt nach der Rechtsprechung des BFH nicht vor.
Normenkette
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b, § 52 Abs. 12 S. 9; GG Art. 3 Abs. 1; AO § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Tatbestand
Streitig ist die Änderbarkeit bestandskräftiger Einkommensteuer (ESt)-Bescheide u.a. nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO).
Die Kläger (Kl.) sind Eheleute und wurden in den Streitjahren 2007 und 2008 zusammen zur ESt veranlagt. Der Kl. war Gymnasiallehrer und unterhielt, wie in den Vorjahren ein häusliches Arbeitszimmer, welches Kosten von jährlich mehr als 1.250 EUR verursachte. Mit ihrer am 08.02.2008 eingereichten ESt-Erklärung 2007 erklärten die Kl. u.a. Einkünfte des Kl. aus nichtselbstständiger Arbeit und sonstige Einkünfte der Kl. Bei den Werbungskosten erklärte der Kl. keinerlei Aufwendungen für sein häusliches Arbeitszimmer. Das Finanzamt (FA) setzte mit Bescheid vom 21.02.2008 die ESt 2007 auf xx.xxx EUR fest. Gegen diesen Bescheid haben die Kl. mit Schreiben vom 22.02.2008 Einspruch eingelegt und beantragt, Steuerberatungskosten in Höhe von 168,28 EUR als Sonderausgaben abzuziehen. Das FA hat daraufhin mit Zustimmung der Kläger mit Bescheid vom 30.01.2009 die ESt auf x.xxx EUR herabgesetzt und den Bescheid hinsichtlich der Steuerberatungskosten für vorläufig erklärt. Damit erledigte sich das Einspruchsverfahren.
Ihre ESt-Erklärung 2008 haben die Kl. am 29.01.2009 beim FA eingereicht. Dabei wurden wiederum keinerlei Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer des Kl. erklärt. Mit Bescheid vom 20.02.2009 setzte das FA die ESt 2008 auf x.xxx EUR fest.
Mit Schreiben vom 12.08.2010 beantragten die Kl., die ESt-Bescheide 2007 und 2008 zu ändern und Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer in Höhe von 1.250 EUR zu berücksichtigen. Zur Begründung wurde auf das BMF-Schreiben vom 12.08.2010 verwiesen. Dieses verhielt sich zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. 7. 2010 2 BvL 13/09, Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE) 126, 268, Bundesgesetzblatt (BGBl) 2010, 1157, wonach entschieden wurde, dass die ab dem Veranlagungszeitraum 2007 geltende Neuregelung zur Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 6b EStG) mit Artikel (Art.) 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar sei, soweit das Abzugsverbot Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer auch dann umfasse, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stehe. Der Gesetzgeber war verpflichtet worden, den verfassungswidrigen Zustand rückwirkend auf den 1. Januar 2007 zu beseitigen. Als Anlage zu dem Änderungsantrag der Kl. war eine Aufstellung über die Aufwendungen für das Arbeitszimmer beigefügt.
Mit Bescheiden vom 30.09.2010 hat das FA die Änderung der ESt-Bescheide 2007 und 2008 abgelehnt. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, dass die ESt-Bescheide keinen Vorläufigkeitsvermerk zum häuslichen Arbeitszimmer enthielten und somit eine Änderungsmöglichkeit nicht gegeben sei.
Die Kl. haben hiergegen mit Schreiben vom 26.10.2010 Einspruch eingelegt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, dass das BVerfG mit Beschluss vom 06.07.2010 § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG i. d. F. des Steueränderungsgesetzes 2007 für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt habe, soweit der Abzug von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer auch dann ausgeschlossen sei, wenn für die berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stehe. Darüber hinaus habe das Gericht den Gesetzgeber verpflichtet, den verfassungswidrigen Zustand rückwirkend auf den 01.01.2007 durch Neufassung des Gesetzes zu beseitigen. Mi...