Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice für die Fallgruppe „Kind mit Behinderung”

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Aufgrund des gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG ergangenen Beschlusses des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit 129/2022 vom 03.11.2022 und der damit abweichend von den Vorschriften der AO über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden vorgenommenen Übertragung der Entscheidung über den Kindergeldanspruch für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten (hier: Fallgruppe „Kind mit Behinderung”) auf eine andere Familienkasse (hier: Familienkasse Zentraler Kindergeldservice) im Laufe eines Klageverfahrens kommt es zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel. Der Vorstandsbeschluss ist jedenfalls bzgl. der Fallgruppe „Kind mit Behinderung” inhaltlich hinreichend bestimmt. Da die Konzentrationsermächtigung im Ermessen des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit liegt, kommt es für die gerichtliche Überprüfung nicht darauf an, warum die Daten von Kindern mit Behinderung besonders schützenswert sein sollen. Entsprechende Überlegungen betreffen die Ebene der Zweckmäßigkeit und damit den Beurteilungsspielraum des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit.

2. Ein Pflegekind i.S.v. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist. Zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind muss ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern und eine ideelle Beziehung bereits über einen längeren Zeitraum bestanden haben. Dies ist in den ersten 12 Monaten, nachdem das Kind in den Haushalt aufgenommen worden ist und zuvor weder ein dem Eltern-Kind-Verhältnis vergleichbares Autoritätsverhältnis noch eine familiär-häusliche Verbindung oder familienähnliche Umgänge (z.B. gemeinsame Urlaube, tägliche gemeinsame Mahlzeiten, gemeinsame Freizeitgestaltung, Einkäufe oder ähnliche Unternehmungen) bestanden hatten und keine Personensorge bzw. Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsfunktionen ausgeübt worden ist, nicht gegeben.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 S. 4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein Pflegekindschaftsverhältnis i. S. d. § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorliegt.

Die am 00.00.1969 geborene Klägerin ist die leibliche Mutter von K. (geb. am 00.00.2001). Zudem setzte die Familienkasse Y […] zugunsten der Klägerin Kindergeld für die Pflegekinder S. (geb. am 00.00.1974) und E. (geb. am 00.00.1974) fest.

Am 22.04.2020 nahm die Klägerin zudem Frau O. (geb. am 00.00.1974) in ihren Haushalt auf. Diese wohnte zuvor im Haushalt von Frau H., wofür die Familienkasse Y. mit Bescheid vom 00.00.2018 Kindergeld zugunsten von Frau H. festgesetzt hatte. Ausweislich des Schwerbehindertenausweises ist O. gehbehindert und hilflos, der Grad der Behinderung beläuft sich auf 100. Der Schwerbehindertenausweis ist seit dem 00.00.1978 und unbefristet gültig. Seit dem 00.00.2013 ist O. bei den B. Werkstätten teilstationär untergebracht.

Mit Schreiben vom 23.04.2020 beantragte O. gegenüber dem Amtsgericht V., Betreuungsangelegenheiten, einen Betreuerwechsel. Es sei „am gestrigen Tag” in der Familie H., in der sie seit Jahren lebe und durch den Q. […] betreut werde, zu einer Eskalation gekommen und sie sei vor die Tür gesetzt worden. Das Vertrauen in ein Zusammenleben sei erschüttert und eine Betreuung durch Frau H. für sie nicht mehr vorstellbar. Aufgrund des Vorfalls befinde sie sich in der Gastfamilie der Klägerin. Mit Beschluss des Amtsgerichts V. vom 14.05.2020 wurde O. daraufhin anstelle von Frau H. Frau L. als Mitarbeiterin des Vereins „N. e.V.” zur Betreuerin bestellt.

Der Haushaltsaufnahme von O. durch die Klägerin liegt eine Vereinbarung zum betreuten Wohnen in Gastfamilien (BWF – Betreutes Wohnen in Familien) zwischen der Klägerin und dem Q. vom 06.05.2020 zugrunde. Wegen des näheren Inhalts wird auf die Vereinbarung Bezug genommen.

Mit Antrag vom 00.00.2020 beantragte die Klägerin bei der Familienkasse Y. Kindergeld für O. für den Zeitraum ab Mai 2020. Zur Begründung gab die Klägerin an, dass O. bei ihr in Familienpflege wohne, da sie aufgrund einer Behinderung außer Stande sei, sich selbst zu versorgen. Im Rahmen der auf Anfrage der Familienkasse Y. eingereichten „Erklärung für ein Pflegekind” gab die Klägerin an, dass O. für längere Zeit, und zwar voraussichtlich lebenslang, in ihrer Obhut verbleiben solle. Es handele sich nicht um einen Erwerbszweck. Sie vorsorge O. ganztägig und durchgehend an allen Wochentagen; die leiblichen Eltern seien verstorben. Bezogen auf das für O. zu bewilligende Kindergeld habe sich nur geändert, dass sie und nicht mehr die Familie H. die Gastfamilie sei.

Mit Bescheid vom 04.09.2020 lehnte die Familienkasse Y. den Kindergeldantrag ab dem Monat Mai 2020 ab. Nach den der Familienkasse Y. vorliegenden Unterlagen sei O. durch eigene verfügbare finanzie...

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