Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Ermessensausübung des Finanzamts bei der Festsetzung von Verspätungszuschlägen nach § 152 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Entscheidung, ob ein Verspätungszuschlag festzusetzen ist (Entschließungsermessen), ist auf fehlerhafter Sachverhaltsbasis ergangen und damit ermessensfehlerhaft, wenn die Finanzbehörde irrtümlich davon ausging, dass der Steuerpflichtige auch für einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum eine Steuererklärung verspätet abgegeben habe. Dieser Mangel in der Sachverhaltsermittlung kann nicht durch Ergänzung der Ermessenserwägungen korrigiert werden.

2. Die Entscheidung über die Höhe des festzusetzenden Verspätungszuschlags (Auswahlermessen) ist ermessensfehlerhaft, wenn die Finanzbehörde die Entscheidung zur Höhe der festzusetzenden Verspätungszuschläge u. a. mit einer wörtlichen Wiedergabe der für den Streitzeitraum (2016) noch nicht gültigen Fassung des § 152 AO begründet und damit den Rahmen bezüglich der jeweils geltenden Ermessensobergrenze fehlerhaft bestimmt hat (hier: Bestimmung der relativen Höchstgrenze anhand des Betrags der festgesetzten Steuer und nicht anhand des Betrags einer sich ggf. ergebenden Abschlusszahlung.

3. Eine ordnungsgemäße Ausübung des Auswahlermessens setzt grundsätzlich voraus, dass alle in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO aufgeführten Kriterien für die Bemessung des Verspätungszuschlags beachtet und – spätestens in der Einspruchsentscheidung – gegeneinander abgewogen werden. Die Auseinandersetzung mit einem bisher nicht berücksichtigten Kriterium erst im Klageverfahren ist ein gemäß § 102 Satz 2 FGO nicht mehr zulässiges erstmaliges Anstellen von Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren.

 

Normenkette

AO § 152 Abs. 2; FGO § 102 Sätze 1-2; AO § 152 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der vom Beklagten für die Jahre 2016 und 2017 festgesetzten Verspätungszuschläge. Wesentlicher Streitpunkt ist, ob der Beklagte sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

Für das Jahr 2005 reichte der Kläger keine Einkommensteuererklärung ein. Der Beklagte schätzte die Besteuerungsgrundlagen und setzte mit der Einkommensteuer einen Verspätungszuschlag i. H. v. 100 € fest.

Für die Jahre 2006 und 2007 gab der Kläger seine Einkommensteuererklärungen am 17. 3. 2008 ab. Für das Jahr 2008 reichte er seine Einkommensteuererklärung am 27. 12. 2012 ein. Für das Jahr 2009 ging die klägerische Einkommensteuererklärung am 24. 7. 2013 beim Beklagten ein. Für die Jahre 2006 bis 2009 setzte der Beklagte keine Verspätungszuschläge fest. Es handelte sich um Erstattungsfälle.

Für die Jahre 2010 bis 2012 gingen die klägerischen Einkommensteuererklärungen am 8. 10. 2015 beim Beklagten ein. Der Beklagte setzte Verspätungszuschläge i. H. v. 810 € (2010), 940 € (2011) und 5.000 € (2012; ermäßigt auf 1.250 €) fest.

Für die Jahre 2013 und 2014 reichte der Kläger seine Einkommensteuererklärungen am 2. 6. 2016 ein. Der Beklagte setzte Verspätungszuschläge i. H. v. 4.250 € (2013) und 1.250 € (2014) fest.

Für das Jahr 2015 gab der Kläger seine Einkommensteuererklärung am 31. 8. 2017 ab. Der Beklagte setzte einen Verspätungszuschlag i. H. v. 1.750 € fest.

Für die Veranlagungszeiträume 2016 und 2017 gab der Kläger zunächst keine Einkommensteuererklärungen ab.

Unter dem 2. 8. 2019 erließ der Beklagte Bescheide für 2016 und 2017 über Einkommensteuer. Mangels vorliegender Einkommensteuererklärungen schätzte er die Besteuerungsgrundlagen und berücksichtigte dabei Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung. Außerdem verband der Beklagte mit diesen Einkommensteuerbescheiden die Festsetzung von Verspätungszuschlägen für 2016 i. H. v. 4.750 € und für 2017 i. H. v. 1.750 €.

Der Beklagte forderte die klägerische Einkommensteuererklärung für das Jahr 2018 vorab – zum 4. 11. 2019 – an.

Am 20. 12. 2019 reichte der Kläger seine Einkommensteuererklärungen für 2016 bis 2018 ein. Auch danach ergaben sich – in abweichender Höhe – Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung.

Unter dem 14. 4. 2020 erließ der Beklagte geänderte Einkommensteuerbescheide für 2016 und 2017. Er setzte Einkommensteuer für 2016 i. H. v. 145.674 € und für 2017 i. H. v. 80.874 € fest. Nach den Abrechnungen erhielt der Kläger Einkommensteuererstattungen für 2016 i. H. v. 76.651 € und für 2017 i. H. v. 77.938 €. Nach den Bescheiden blieben die bisher festgesetzten Verspätungszuschläge unverändert bestehen.

Hiergegen legte der Kläger Einsprüche ein. Zur Begründung führte er aus, dass die Höhe der festgesetzten Verspätungszuschläge mit § 152 der Abgabenordnung (AO) in der ab dem 1. 1. 2017 gültigen Fassung nicht vereinbar sei.

Während des Einspruchsverfahrens – unter dem 2. 11. 2020 – änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid für 2016. Der bisher festgesetzte Verspätungszuschlag blieb unverändert bestehen.

Am 30. 8. 2021 ging die klägerische Einkommensteuererklärung ...

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