Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensausübung bei der Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 AO n.F.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die ermessensfehlerfreie Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 AO n.F. setzt voraus, dass die Behörde alle maßgeblichen Kriterien beachtet und gegeneinander abwägt.
2. Ein Abstellen allein auf das Verschulden des Steuerpflichtigen reicht nicht aus.
3. Insbesondere hat die Behörde auch einzubeziehen, ob eine verspätet abgegebene Einkommensteuererklärung zu einer Verzögerung des Veranlagungsverfahrens geführt hat und ob sich aus der Veranlagung eine Nullfestsetzung, Nachzahlung oder Erstattung ergibt.
Normenkette
AO § 152
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2020.
Der Kläger war im Jahr 2019 bei zwei Arbeitgebern nichtselbständig beschäftigt. Für die Beschäftigung bei der X GmbH & Co. KG erfolgte der Lohnsteuerabzug nach der Steuerklasse I und für die andere Beschäftigung nach der Steuerklasse VI. Die Beschäftigung bei der X GmbH & Co. KG begann am 01.05.2018 und endete zum 31.12.2019 (Bl. 31 GA). Das andere Beschäftigungsverhältnis bestand im Jahr 2020 fort.
Im Rahmen der Entgeltabrechnung für Januar 2020 berücksichtigte die X GmbH & Co. KG für das bereits beendete Beschäftigungsverhältnis einen geldwerten Vorteil für die PKW-Nutzung sowie eine Korrektur für Dezember 2019 (Bl. 33 GA). In der Lohnsteuerbescheinigung für 2020 waren ein Bruttoarbeitslohn in Höhe von 528,42 EUR sowie einbehaltene Lohnsteuer in Höhe von 30 EUR ausgewiesen (Bl. 29 GA).
Die Einkommensteuererklärung für 2019 und 2020 reichte die hiesige Prozessbevollmächtigte für den Kläger am 29.03.2023 elektronisch bei dem Beklagten ein. Danach ergaben sich Bruttoarbeitslöhne für 2019 in Höhe von 53.897 EUR (Steuerklasse I) und 11.792 EUR (Steuerklasse VI) und für 2020 in Höhe von 528 EUR (Lohnsteuerklasse I) und 86.359 EUR (Lohnsteuerklasse VI). Auf sämtliche Löhne war Lohnsteuer einbehalten worden.
Mit Bescheid vom 27.04.2023 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2019 in Höhe von 14.926 EUR fest. Unter Berücksichtigung der gezahlten Lohnsteuer ergab sich eine nachzuzahlende Einkommensteuer in Höhe von 887 EUR. Der Beklagte setzte einen Verspätungszuschlag in Höhe von 475 EUR fest (Bl. 4 ff ESt-Akte). Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Bl. 45 ff ESt-Akte). Eine Klage wurde nicht erhoben.
Mit Bescheid vom 24.05.2023 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2020 in Höhe von 23.243 EUR fest und berücksichtigte dabei erklärungsgemäß Bruttoarbeitslöhne in Höhe von insgesamt 86.887 EUR. Unter Anrechnung der gezahlten Lohnsteuer in Höhe von 32.052 EUR ergab sich zugunsten des Klägers eine zu erstattende Einkommensteuer in Höhe von 8.809 EUR und ein zu erstattender Solidaritätszuschlag in Höhe von 484,41 EUR. Die Erstattungszinsen nach § 233a der Abgabenordnung – AO – betrugen 93 EUR. Der Beklagte setzte einen Verspätungszuschlag in Höhe von 175 EUR fest und führte zur Begründung an, dass die Steuererklärung erst am 29.03.2023 und damit nach Ablauf der Abgabefrist (31.08.2022) abgegeben worden sei (Bl. 18 ff ESt-Akte).
Mit dem Einspruch machte die Prozessbevollmächtigte für den Kläger geltend, dass es wegen Arbeitsüberlastung nicht möglich gewesen sei, die Steuererklärung 2020 bis zum 31.08.2022 zu erstellen. Die Arbeitsüberlastung resultiere aus der Bearbeitung von Corona-Hilfsanträgen, den zahlreichen Zusatzaufgaben, welche von den steuerberatenden Berufsgruppen zu erfüllen seien, zahlreichen Gesetzesänderungen sowie ihrer unzureichenden Umsetzung durch die Finanzverwaltung und aus der Bearbeitung der Grundsteuererklärungen (Bl. 20 ESt-Akte).
Die Prozessbevollmächtigte beantragte zugleich rückwirkend Fristverlängerung für die Einkommensteuererklärung 2020 (Bl. 20 ESt-Akte). Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 21.07.2023 ab und führte an, dass eine Fristverlängerung über den 31.08.2022 hinaus nach § 109 Abs. 2 AO i.V.m. Artikel 97 § 36 Abs. 3 Nr. 1 und 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – EGAO – nur möglich sei, wenn der Steuerpflichtige oder sein Bevollmächtigter ohne Verschulden verhindert sei, die Frist einzuhalten. Die Arbeitsüberlastung von Angehörigen der steuerberatenden Berufe rechtfertige nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen eine Fristverlängerung. Mit der bis zum 31.08.2022 verlängerten Frist seien die Mehrbelastungen durch die Corona-Pandemie bereits berücksichtigt worden. Ein besonderer Ausnahmefall sei nicht gegeben (Bl. 23 ESt-Akte). Den hiergegen gerichteten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 07.09.2023 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er an, dass die Entscheidung über einen Fristverlängerungsantrag nach § 109 AO eine Ermessensentscheidung sei. Fristverlängerungen dürften nicht dem Zweck der jeweiligen Frist zuwiderlaufen. Abzuwägen seien die persönlichen Interessen des Steuerpflichtigen mit dem öffentlichen Interesse an einer ordnungsgemäßen und gleichmäßigen Besteue...