Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung, Nachweis der Hilfsbedürftigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Die Aufrechnung des Finanzamts gegenüber Erstattungsansprüchen auf Kindergeld ist gemäß § 75 Abs. 1 EStG auch dann ausgeschlossen, wenn der Kindergeldberechtigte seine Hilfebedürftigkeit erst neun Monate nach der Aufrechnungserklärung des Finanzamts nachweist. Das Gesetz enthält insoweit keine Fristbestimmung.
Normenkette
EStG § 75 Abs. 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Aufrechnung zulässig war.
Die Klägerin ist Mutter mehrerer Kinder. Mit Bescheid vom 11.7.2017, der laut Vermerk am selben Tag abgesandt wurde, hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Tochter M für den Zeitraum Oktober 2015 bis Juni 2017 auf. Zugleich forderte sie den überzahlten Betrag in Höhe von insgesamt 4.647 € von der Klägerin zurück. Für die übrigen Kinder H, D und A blieb die Kindergeldfestsetzung bestehen.
Mit Schreiben vom 22.8.2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der bisher noch nicht beglichene Rückforderungsanspruch ab September 2017 in Höhe von 291 € monatlich gegen den laufenden Kindergeldanspruch aufgerechnet werde. Diese Aufrechnung nahm die Beklagte entsprechend der Ankündigung bis einschließlich Mai 2018 vor.
Mit Schreiben vom 24.5.2018 teilte der Ehemann der Klägerin in deren Vertretung der Beklagten folgendes mit: „Aufrechnung beenden ab sofort”. Zugleich reichte er einen Bescheid des Jobcenters A-Stadt ein, aus dem sich ergibt, dass die Familie im Zeitraum 1.8.2017 bis 31.5.2018 Leistungen nach dem SGB II bezogen hat.
Mit Schreiben vom 25.5.2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Aufrechnung ab Juni 2018 eingestellt werde.
Die Klägerin beantragte daraufhin mit Schreiben vom 17.6.2018 die Rückzahlung des einbehaltenen Betrages in Höhe von 2.619 €. Zur Begründung führte sie aus, dass eine Einbehaltung ohne Zustimmung des Kindergeldberechtigten gemäß § 75 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht rechtmäßig sei, wenn dieser Leistungen nach dem SGB II erhält.
Die Beklagte erließ am 21.6.2018 einen Abrechnungsbescheid, aus dem sich unter Anrechnung des einbehaltenen Betrages eine noch offene Forderung in Höhe von 2.028 € ergibt. Zur Begründung führte sie aus, dass die Nachweise der vorliegenden Hilfebedürftigkeit erst am 25.5.2018 eingereicht worden seien. Entsprechend könne der Widerruf nur für die Zukunft nach § 131 der Abgabenordnung (AO) erfolgen. Der in der Kindergeldakte enthaltene „Entwurf” des Bescheids enthält keinen Absendevermerk. Die Bekanntgabe erfolgte durch einfachen Brief.
Den hiergegen am 26.7.2018 bei der Beklagten eingegangenen Einspruch verwarf die Beklagte wegen Fristversäumnis als unzulässig.
Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage reicht die Klägerin einen Briefumschlag mit Poststempel ein, der das Datum 25.6.2018 trägt. Demnach sei der Einspruch nicht verspätet eingelegt worden. Ferner behauptet sie, den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 11.7.2017 nicht erhalten zu haben. Dieser sei auch rechtswidrig, da sich die Tochter in einer Ausbildung an einem Berufskolleg befunden habe. Im Übrigen sei die Aufrechnung unzulässig gewesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Abrechnungsbescheid vom 21.6.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.9.2018 dahingehend zu ändern, dass der Klägerin ein Betrag in Höhe von 2.619 € zu erstatten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist nach Übersendung des Briefumschlags nicht mehr der Auffassung, dass der Einspruch verfristet eingelegt wurde. Die Klage sei allerdings unbegründet. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin den Bescheid vom 11.7.2017 nicht erhalten habe, weil anderenfalls davon auszugehen wäre, dass die Klägerin der Aufrechnung schon eher widersprochen hätte. Zu ihrer weiterhin vertretenen Auffassung, dass eine Rücknahme der Aufrechnung für die Vergangenheit nicht zulässig sei, verweist die Beklagte auf die Kommentierung in Lange/Novak/Sander/Stahl/Weinhold, Kindergeldrecht im öD, § 75 EStG, Rn. 74 (Bl. 20 der Gerichtsakte).
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Obwohl die Klägerin in der Klageschrift vom 8.10.2018 lediglich beantragt hat, die angefochtene Einspruchsentscheidung aufzuheben, ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass sie überdies auch eine Änderung des mit dem Einspruch angefochtenen Aufrechnungsbescheides begehrt. Dies ergibt sich daraus, dass mit der Klageschrift auch Ausführungen zur materiellen Rechtslage gemacht werden. Überdies hat die Beklagte deutlich gemacht, an ihrer bisherigen Auffassung zur Frage der Aufrechnung festzuhalten, so dass die Klägerin von einer isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung und einer Durchführung des Einspruchsverfahrens keinen Vorteil hätte. Es wäre vielmehr ein erneutes Klageverfahren zu erwa...