Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung von Stundung und Erlass einer Kindergeldrückforderung durch eine unzuständige Behörde
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Ausgangsbehörde und nicht die Rechtsmittelbehörde ist Beklagte i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 FGO.
2. Für den Bereich „Inkasso” ist in Bezug auf Kindergeld die örtliche Familienkasse sachlich zuständig.
3. Wenn die Familienkasse, die für die Entscheidung über einen Stundungs- und Erlassantrag zuständig ist, als zuständige Behörde die Einspruchsentscheidung erlässt, führt dies nicht zur Heilung der sachlichen Unzuständigkeit bei Erlass des Ablehnungsbescheids.
4. Die Vorschrift des § 127 AO gilt nicht bei Verletzung der sachlichen Zuständigkeit.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; AO §§ 16, 126-127, 367 Abs. 2 S. 1; FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 Sätze 1, 4; FGO § 63 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 19 Abs. 4
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den Erlass bzw. die Stundung einer Erstattungsforderung nebst Säumniszuschlägen.
Die Klägerin bezog aufgrund eines Abzweigungsantrags laufend Kindergeld für sich selbst. Zum 31.12.2017 beendete die Klägerin ihre Ausbildung zur Gärtnerin vorzeitig. Die Familienkasse hob daraufhin mit Bescheid vom 26.07.2018 die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Mutter der Klägerin rückwirkend ab Januar 2018 auf. Das bis April 2018 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 776,00 € forderte die Familienkasse mit – bestandskräftig gewordenem – Bescheid ebenfalls vom 26.07.2018 von der Klägerin als Abzweigungsempfängerin zurück.
Die Klägerin beantragte daraufhin mit Schreiben vom 19.09.2018 gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) den Erlass der zu erstattenden Kindergeldrückforderung bei der Familienkasse. Zur Begründung verwies sie darauf, dass das Kindergeld auf die von ihr nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezogenen Leistungen angerechnet worden sei.
Mit Mahnung vom 03.05.2019 forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung von 843,50 € (Forderung in Höhe von 776,00 € und Säumniszuschläge für den Zeitraum vom 27.08.2018 bis zum 02.09.2018 in Höhe von 7,50 € sowie vom 03.09.2018 bis zum 02.05.2019 in Höhe von 60,00 €) auf.
Mit Bescheid vom 08.07.2019 erließ die Beklagte eine Teilforderung in Höhe von 194,00 € und lehnte den Erlassantrag im Übrigen unter Hinweis auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht der Klägerin ab.
Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung verwies sie darauf, dass sie der Bundesagentur für Arbeit C mit – dem Einspruchsschreiben in Abschrift beigefügten – Emails vom 30.01.2018 bzw. 08.02.2018 mitgeteilt habe, dass sie nicht mehr in einem Ausbildungsverhältnis stehe.
Die Familienkasse wies den Einspruch der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 26.11.2019 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Familienkasse nach § 227 AO Forderungen nur erlassen dürfe, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen könne gerechtfertigt sein, wenn bei der Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes II (ALG II) als Einkommen Kindergeld festgesetzt worden sei, bei einer Rückforderung des Kindergeldes eine nachträgliche Korrektur der Leistungen in Höhe des Kindergeldes jedoch nicht möglich sei. Dies gelte jedoch nur dann, wenn die Rückforderung nicht auf das Verhalten des Berechtigten zurückzuführen sei. Im Streitfall resultiere die Rückforderung aber gerade aus dem Umstand, dass die Klägerin den Abbruch der Berufsausbildung ab Januar 2018 der Familienkasse nicht unverzüglich mitgeteilt und damit ihre Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verletzt habe. Die Mitteilung sei erst auf Nachfrage im Juli 2018 erfolgt. Die E-Mail der Klägerin vom 08.02.2018 sei nämlich nicht an die Familienkasse, sondern an den Operativen Service der Agentur für Arbeit C versendet worden, um den Anspruch der Leistungen nach dem SGB II zu begründen. Lediglich für den ersten Monat der Überzahlung liege eine sachliche Unbilligkeit vor, da selbst bei einer rechtzeitigen Mitteilung des Abbruchs der Ausbildung eine Anrechnung des Kindergeldes auf das ALG II nicht mehr hätte verhindert werden können. Auch ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen komme nicht in Betracht, da bei der Klägerin weder eine Erlassbedürftigkeit noch eine Erlasswürdigkeit vorliege. So sei die Klägerin durch die Pfändungsfreigrenze des § 850c der Zivilprozessordnung (ZPO) ausreichend geschützt, sodass ihre wirtschaftliche Existenz nicht gefährdet sei (Erlassbedürftigkeit). Zudem habe die Klägerin die Rückforderung durch ihr Versäumnis, die notwendigen Unterlagen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht vorzulegen, selbst herbeigeführt (Erlasswürdigkeit).
Mit Mahnung vom 06.12.2019 und Vollstreckungsandrohung vom 20.12.2019 forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung von – nunmehr noch – 688,00 € (Restforderung in Höhe von 582,00 € und Säumniszuschläge für den Zeitraum vom 27.08.2018 bis zum 02.09.2018 in Höhe von 7,50 €, vom 03.09.2018 b...