Entscheidungsstichwort (Thema)

Frage eines Erstattungsanspruch gegen die Finanzbehörde (sog. Reemtsma-Anspruch) von zu viel gezahlter Mehrwertsteuer einschließlich Zinsen

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Direktanspruch gegen die Finanzverwaltung (sog. Reemtsma-Anspruch) besteht auch bei zivilrechtlich verjährten Ansprüchen des Leistenden.

 

Normenkette

AO §§ 227, 233a, 163

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht einen Antrag des Klägers auf Erlass von Umsatzsteuernachforderungen und Zinsen zur Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen abgelehnt hat und ggf. ob und wie die zu erlassenden Beträge zu verzinsen sind.

Der Kläger ist Land- und Forstwirt und betreibt u.a. einen gewerblichen Handel mit (Brenn-)Holz. In den Jahren 2011 bis 2013 erwarb er von verschiedenen Vorlieferanten, mit denen jeweils Nettoentgeltvereinbarungen getroffen worden waren, Holz unter Ausweis der Umsatzsteuer in den jeweiligen Rechnungen in Höhe des Regelsteuersatzes von 19 % (in 2011: … EUR zzgl. … EUR USt, in 2012: … EUR zzgl. … EUR USt und in 2013: … EUR zzgl. … EUR USt). Daneben gab es Vorlieferanten, die ihm das Holz mit dem ermäßigten Steuersatz in Höhe von 7 % oder aber von 5,5 % in Rechnung stellten. Der Kläger veräußerte und lieferte in der Folge das Holz als Brennholz an seine Kunden unter Ausweis des ermäßigten Steuersatzes von 7 %, ohne eine eigene Verarbeitung vorgenommen zu haben. Das Holz wurde lediglich durch die seitens des Klägers beauftragten Fuhrunternehmen für den Transport an die Endkunden bei der Beladung der LKW im Wald auf entsprechende Längen gekürzt.

Sämtliche Vorlieferanten erklärten jeweils die Umsätze und führten die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer ab. Der Kläger selbst erklärte Ausgangsumsätze zu 7 % und brachte seinerseits den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen jeweils in der Höhe in Abzug, in der die Umsatzsteuer offen ausgewiesen war (19 %, 7 % oder 5,5 %).

Im Rahmen einer Betriebsprüfung durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung I im Jahr 2016 vertrat die Prüferin die Auffassung, dass die Beantwortung der Frage, ob ermäßigt zu besteuerndes Brennholz vorliege, sich danach entscheide, ob nach seinem Zustand und seiner Aufmachung im Zeitpunkt des Verkaufs aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers üblicherweise auf eine Verwendung als Brennholz zu schließen sei. Danach dürfte der Verkauf von Stammholz-Abschnitten regelmäßig dem Regelsteuersatz unterliegen, auch wenn der Käufer beabsichtige, dieses Holz als Brennholz zu verwenden. Aus den Rechnungen gingen keine genauen Angaben zum Zustand und der Aufmachung des Holzes hervor. Es werde davon ausgegangen, dass das Holz, welches mit dem Regelsteuersatz von 19 % erworben worden sei, ohne Bearbeitung auch nur mit dem Regelsteuersatz von 19 % verkauft werden könne. Soweit der Wareneinkauf des Klägers unter Ausweis des Regelsteuersatzes erfolgt war (59 % des Wareneinkaufs in 2011, 71 % in 2012 und 79 % in 2013) unterwarf die Prüferin den entsprechenden Prozentsatz der Ausgangsumsätze des Klägers dem Regelsteuersatz, im Übrigen beließ sie es bei der Besteuerung der Ausgangsumsätze zum ermäßigten Steuersatz. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Bp-Bericht vom 6. Juni 2016, insbesondere Tz. 2.2, Bezug genommen.

Zur Umsetzung der Feststellungen der Betriebsprüfung erließ der Beklagte am 1. September 2016 geänderte Umsatzsteuerbescheide sowie Zinsbescheide zur Umsatzsteuer. Für 2011 wurde die Umsatzsteuer in Höhe von … EUR und Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von … EUR, für 2012 wurde die Umsatzsteuer in Höhe von … EUR und Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von … EUR und für 2013 wurde die Umsatzsteuer in Höhe von … EUR sowie Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von … EUR festgesetzt. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde jeweils aufgehoben. Der Kläger legte gegen sämtliche Bescheide Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren verböserte der Beklagte die Festsetzungen für 2011 (auf … EUR) und für 2012 (auf … EUR), da er nunmehr auch die klägerischen Ausgangsumsätze der unter Ausweis einer Umsatzsteuer in Höhe von 5,5 % von ihm bezogenen Holzlieferungen dem Regelsteuersatz unterwarf. Im sich hieran anschließenden Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) Münster (Az.:15 K 2794/17 U) bestätigte der Senat im Urteil vom 2. Juli 2019 zwar die Auffassung des Klägers, wonach die strittigen Ausgangsumsätze dem ermäßigten Steuersatz unterlägen. Der Senat vertrat indes aber zugleich die Auffassung, dass auch die Eingangsleistungen, die bislang unter Anwendung und Ausweis des Regelsteuersatzes vom Kläger erworben worden waren, nur dem ermäßigten Steuersatz in Höhe von 7 % unterlägen und er dementsprechend nur einen Vorsteuerabzug in dieser Höhe in Abzug bringen könne, weil nur insoweit eine gesetzlich geschuldete Steuer vorliege. Hierdurch ergab sich eine Vorsteuerkürzung in Höhe von … EUR in 2011, … EUR in 2012 und … EUR in 2013 (insgesamt: … EUR, vgl. Seite 21 des Urteils in der Sache 15 K 2794/17 U). Der Senat lehnte die vom Kläger beantragte Beiladung der Vorliefera...

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