Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der Verrechnungsmöglichkeit von Vorsteuererstattungsanspruch und Umsatzsteuerschuld im Rahmen eines Insolvenzverfahrens
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach ständiger Rechtsprechung - der sich der erkennende Senat anschließt - besteht ein Unternehmen - bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts - nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen (vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil, Insolvenzmasse und insolvenzfreies Vermögen), zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können.
2. Es verstößt nicht gegen § 16 Abs. 2 S. 1 UStG, wenn ein Unternehmen bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts in mehrere Unternehmensteile aufgeteilt wird und ein Teil der Steuerschulden gegen den Insolvenzverwalter festgesetzt wird und ein Teil der Steuerschulden als Insolvenzforderung angemeldet wird.
Normenkette
UStG §§ 15, 16 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob ein während der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung begründeter Vorsteuererstattungsanspruch die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Umsatzsteuerschulden mindert.
Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der X E GmbH & Co KG (nachfolgend: GmbH & Co KG).
Die GmbH & Co KG betrieb ein Bauunternehmen in I. Mit Beschluss des Amtsgerichts F vom 18.1.2011 wurde die Klägerin zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse und zur Aufklärung des Sachverhalts zur vorläufigen Insolvenzverwalterin bestellt. Das Amtsgericht ordnete an, dass Verfügungen der GmbH & Co KG über ihr Vermögen nur noch mit Zustimmung der Klägerin wirksam sein sollten (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt, 22 InsO). Drittschuldnern wurde verboten, an die GmbH & Co KG zu zahlen. Die Klägerin wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der GmbH & Co KG einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Drittschuldner wurden aufgefordert, nur noch unter Beachtung dieser Anordnung zu leisten (§ 23 Abs. 1 S. 3 InsO). Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Amtsgerichts F verwiesen (Gerichtsakte, Bl. 39). Die Klägerin wurde nicht zur allgemeinen Vertreterin der GmbH & Co KG bestellt. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ist nicht nach § 22 InsO auf die Klägerin übertragen worden (sog. „schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter”).
Mit Beschluss des Amtsgerichts F vom 1.5.2011 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin wurde zur Insolvenzverwalterin bestellt. Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Amtsgerichts F verwiesen (Gerichtsakte, Bl. 37).
Im Gesamtzeitraum 18.1. – 31.12.2011 führte die GmbH & Co KG – mit Zustimmung der Klägerin – Umsätze in Höhe von insgesamt xxx EUR zzgl. USt in Höhe von xxx EUR aus und bezog Eingangsumsätze in Höhe von xxx EUR zzgl. xxx EUR Umsatzsteuer. Auf den Zeitraum 18.1. – 30.04.2011 (Zeitraum bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.5.2011) entfielen hiervon Ausgangsumsätze in Höhe von xxx EUR zzgl. USt in Höhe von xxx EUR und Eingangsumsätze in Höhe von xxx EUR zzgl. xxx EUR Umsatzsteuer. Auf den Zeitraum 1.5. – 31.12.2011 entfielen hiervon Ausgangsumsätze in Höhe von xxx EUR zzgl. USt in Höhe von xxx EUR und Eingangsumsätze in Höhe von xxx EUR zzgl. xxx EUR Umsatzsteuer.
Die Besteuerung der GmbH & Co KG erfolgte nach vereinbarten Entgelten (Sollversteuerung). Die Klägerin gab für das Jahr 2011 zwei Umsatzsteuererklärungen für die GmbH & Co KG ab, denen sie die Besteuerungszeiträume vor (Zeitraum 1.1.2011 – 17.1.2011, vorliegend nicht streitgegenständlich) und nach (Zeitraum 18.1.2011 – 31.12.2011) ihrer Bestellung zur vorläufigen Insolvenzverwalterin zugrunde legte.
Aus der Erklärung für den Zeitraum 18.1.2011 – 31.12.2011 ergab sich ein verbleibender Überschuss in Höhe von xxx EUR. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Umsatzsteuererklärung verwiesen (Bl. 28 Umsatzsteuerakte). Der Beklagte stimmte der Umsatzsteuererklärung am 13.12.2013 zunächst zu, sodass die Erklärung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand (§ 164 Abgabenordnung (AO), Bl. 42 Umsatzsteuerakte).
Im Zeitraum 11.6.2014 bis zum 26.6.2014 führte der Beklagte eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Klägerin in Bezug auf das Unternehmen der GmbH & Co KG durch.
Die Prüfer waren der Auffassung, dass es durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile (vorinsolvenz-rechtliche Unternehmensteil und Insolvenzmasse) gekommen sei. Unter Verweis auf § 55 Abs. 4 Insolvenzordnung (InsO) meinten die Prüfer, dass die von der Klägerin als vorläufige Insolvenzverwalterin begründeten Verbindlichkeiten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit gelten würden. Die Vorschrift des § 55 Abs. 4 InsO könne jedoch nicht auf Steuerguthaben Anwendung finden. Demnach könnte das im Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steuerguthaben in Höhe von xxx EUR nicht im Rahmen der Masseverbindlichkei...