Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bedeutung des steuerlichen Einlagekontos einer Kapitalgesellschaft. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VIII R 22/22)
Leitsatz (redaktionell)
1. Wenn eine nahezu vermögenslose Aktiengesellschaft mit einer ausstehenden Einzahlung auf das Grundkapital in Höhe von 37 500 € ihre Firma, ihren Sitz und ihren Unternehmensgegenstand komplett ändert und eine neue Satzung beschließt, liegt eine wirtschaftliche Neugründung vor, denn es soll aus Gründen des Gläubigerschutzes vermieden werden, dass ein leer gewordener Gesellschaftsmantel ohne Geschäftsbetrieb seinen Gesellschaftern nur dazu dient, unter Vermeidung der rechtlichen Neugründung mit ihren präventiven Gläubigerschutzvorschriften die beschränkte Haftung einer Kapitalgesellschaft mit gänzlich neuer Geschäftstätigkeit zu erreichen.
2. Wenn im Anschluss an die wirtschaftliche Neugründung der nunmehrige Alleinaktionär einen Betrag von 12 500 € unter der Bezeichnung „Einlage 25 Prozent Stammkapital” auf das Girokonto der Aktiengesellschaft überweist, wird diese Zahlung steuerlich nicht notwendigerweise in das Nennkapital geleistet und kann deshalb als Zugang im steuerlichen Einlagekonto zu erfassen sein, wenn durch die Einzahlung nur erreicht werden sollte, dass die Gesellschaft bei der registergerichtlichen Anmeldung ein Vermögen von ¼ des Grundkapitals besitzt und dieses endgültig zur freien Verfügung des Vorstands der Gesellschaft steht.
3. Die Bezeichnung einer Überweisung als Einlage auf das Stammkapital kann als „falsa demonstratio” unbeachtlich sein.
4. Die Höhe des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft wird durch deren Satzung bestimmt.
5. Für die Bestimmung des Nennkapitals und die Frage, ob eine Kapitalherabsetzung vorliegt, ist steuerlich an die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften und an eine handelsrechtlich wirksame Herabsetzung des Nennkapitals anzuknüpfen.
Normenkette
KStG § 28 Abs. 2 S. 1; AktG §§ 7, 23 Abs. 3 Nr. 3, § 36 Abs. 2, § 36a Abs. 1, §§ 54, 65, 222 Abs. 1, §§ 223-224, 228-229; KStG § 27 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten streitig ist die Höhe des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2018.
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft (AG). Sie wurde mit notarieller Urkunde vom 6.11.2003 unter der Fa. B + B AG errichtet und in das Handelsregister des Amtsgerichts C (HRB …) eingetragen. Das Grundkapital betrug 50.000 €. Gegenstand des Unternehmens war die Verwaltung eigener Vermögenswerte. Mit weiterer notarieller Urkunde vom 11.7.2005 wurde der Name der Klägerin in D AG mit Sitz in E geändert. Diese Änderung wurde am 1.8.2005 in das Handelsregister eingetragen. Seit dem 2.12.2008 hielt Herr F B die Anteile, der zugleich Vorstand der Klägerin war.
Nach dem Jahresabschluss auf den 31.12.2017 verfügte die Klägerin lediglich über ein Bankguthaben von 187,50 €. Auf der Passivseite wies sie einen Fehlbetrag von 854,24 € und einen Verlustvortrag von 14.229,84 € aus. Das gezeichnete Kapital belief sich auf 50.000 €, von denen 37.500 € noch ausstanden.
Mit notariellem Vertrag vom 20.7.2018 veräußerte Herr B seine 50.000 nennwertlosen Stückaktien an Herrn G. Der Kaufpreis betrug nach § 2 des Vertrags 0,005 € je Stückaktie (insgesamt 250 €).
Am 25.7.2018 beschloss die Hauptversammlung der Klägerin die Änderung der Firma in A AG und die Sitzverlegung nach H. Zugleich beschloss sie eine neue Satzung. Gemäß § 2 der neuen Satzung war Gegenstand nunmehr die Erbringung von Ingenieurleistungen im gewerblichen Bauwesen und der Verkauf von branchenspezifischen Lehrmaterialien sowie die Durchführung von Seminaren und Vorträgen. Zum Vorstand wurde Herr G berufen.
Am 10.9.2018 überwies Herr G einen Betrag von 12.500 € unter der Bezeichnung „Einlage 25 Prozent Stammkapital” auf das Girokonto der Klägerin bei der J-Bank.
Mit ergänzender Meldung vom 8.11.2018 (Nr. 327 der Urkundenrolle für 2018) wies der Notar das Handelsregister darauf hin, dass eine wirtschaftliche Neugründung der Klägerin vorliege. Die Klägerin sei erst ab Anmeldung beim Registergericht wieder wirtschaftlich tätig geworden. Zugleich enthielt die Anmeldung die Versicherung, dass am Tag der Anmeldung die Klägerin mindestens ein Gesellschaftsvermögen in Höhe von ¼ der Grundkapitalziffer = 12.500 € besitze, das Vermögen sich endgültig in der freien Verfügung des Vorstands befinde, das Gesellschaftsvermögen nicht mit Verbindlichkeiten vorbelastet sei, die den Wert unter das Grundkapital herabsetzten und nicht an die Einleger zurückgezahlt worden sei. Sämtliche Änderungen wurden am 18.12.2018 in das Handelsregister eingetragen.
Mit einem weiteren notariellen Vertrag vom 28.12.2018 veräußerte Herr G 25.000 Stückaktien für 1 € an Frau K.
In der am 8.1.2020 eingereichten Erklärung zur Ermittlung des steuerlichen Einlagekontos auf den 31.12.2018 deklarierte die Klägerin einen Bestand des steuerlichen Einlagekontos zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres von 0 €. In den Zeilen 49 und 52 gab die Klägerin im Wirtschaftsjahr geleistete Einlagen in einer Höhe v...