Entscheidungsstichwort (Thema)
Begünstigung des Betriebsvermögens, Vollverschonung, Vorläufigkeitsvermerk, rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (redaktionell)
1) Der im Hinblick auf die nach einem BVerfG-Urteil zu erwartende Neuregelung des ErbStG in einen Bescheid über Schenkungsteuer aufgenommene Vorläufigkeitsvermerk umfasst nicht auch die Möglichkeit einer nachträglichen Wahlrechtsausübung auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG.
2) Ergibt sich aus dem gewählten Vorläufigkeitsvermerk hinreichend klar, dass das Finanzamt die Bestandskraft nur für den Fall offenhalten wollte, dass sich die für den Streitfall geltende Rechtslage aufgrund einer Entscheidung des BVerfG ändert, gilt die Durchbrechung der Bestandskraft nur für eine etwaige gesetzliche Neuregelung. Die Bestandskraft wird damit nicht auch für einen Antrag auf Vollverschonung durchbrochen, da dieser Antrag gerade nicht auf der gesetzlichen Neuregelung, sondern auf dem geltenden Recht basiert.
3) Eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO scheidet aus, da die Feststellung von Wertansätzen bzw. das Nichtüberschreiten der 10 % -Grenze für Verwaltungsvermögen kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. Norm ist.
Normenkette
AO § 165 Abs. 2, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; ErbStG a.F. § 13a Abs. 8
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 05.03.2020; Aktenzeichen II B 21/19) |
Tatbestand
Streitig ist, bis wann der Antrag auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der für den Streitfall geltenden Fassung gestellt werden kann.
Der Klägerin ist von ihrem Ehemann, B. E., ein Geschäftsanteil von 24 % an der T-Vermögens-GmbH zum 31.12.2012 unentgeltlich übertragen worden. Das gesamte Stammkapital der Gesellschaft betrug 357.800 Euro, der Nennbetrag des übertragenen Teilgeschäftsanteils 85.872 Euro. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Vertrag vom 21.12.2012 (URNr. 135/2012 des Notars Dr. X. H. in C-Stadt).
In der Schenkungsteuererklärung, die die Klägerin im Juni 2013 eingereicht hatte, ist der gemeine Wert der Anteile mit 8.733.158 Euro erklärt. Die Quote des Verwaltungsvermögens ist mit „bis zu 10 %” angegeben.
In der „Anlage Steuerentlastung für Unternehmensvermögen (§§ 13a, 13b ErbStG)” wird in Zeile 14 danach gefragt, ob zu einer vollständigen Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG optiert wird. Es heißt weiter, dass das Wahlrecht unwiderruflich ist und nur einheitlich für das gesamte begünstigte Vermögen ausgeübt werden kann. Für den Fall, dass die Frage bejaht wird, ist „ja” anzukreuzen und eine schriftliche Erklärung nach § 13a Abs. 8 ErbStG beizufügen. Es ist weder „ja” angekreuzt noch fügte die Klägerin einen Antrag auf vollständige Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG bei.
Dementsprechend gewährte der Beklagte im Schenkungsteuerbescheid vom 26.05.2014 einen Verschonungsabschlag in Höhe von 85 Prozent für die übertragene Beteiligung. Der Bescheid enthielt einen Vorläufigkeitsvermerk mit folgendem Wortlaut: „Die Festsetzung der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vorläufig. Entsprechendes gilt für Festsetzungen nach dem 31. Dezember 2006 und vor dem 01. Januar 2009 entstandener Erbschaftsteuer, in denen die Anwendung des ab 2009 geltenden Rechts beantragt wurde (Art. 3 Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008). Die Vorläufigkeitserklärung erfolgt lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen. Sie ist nicht dahin zu verstehen, dass das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz als verfassungswidrig angesehen wird. Sollte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diese Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen; ein Einspruch ist daher insoweit nicht erforderlich.”
Der Beklagte änderte aus hier nicht streitigen Gründen den Schenkungsteuerbescheid und setzte die Schenkungsteuer auf 150.347 Euro fest. Der Bescheid enthielt einen Vorläufigkeitsvermerk, der dem bisher dem Bescheid beigefügten Vorläufigkeitsvermerk wörtlich entsprach. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 01.07.2014 Bezug genommen.
Das Finanzamt H-Stadt stellte den Wert des Anteils mit Bescheid vom 29.09.2014 gesondert fest auf 9.411.579 Euro, die Summe der gemeinen Werte des Verwaltungsvermögens auf 1.194.364 Euro, die Summe der gemeinen Werte des jungen Verwaltungsvermögens auf 0 Euro. Der Wert der Kapitalgesellschaft beträgt 39.214.914 Euro. Die Quote des Verwaltungsvermögens teilte das Finanzamt H-Stadt in dem Bescheid nachrichtlich mit 3,0500 % mit (1.194.364 Euro: 39.214.914 Euro).
Der Beklagte änderte die Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO und setzte die Schenkungsteuer unter Berücksichtigung des vom Finanzamt H-Stadt mitgeteilten Werts auf 169.689 Euro fest. Der Vorläufigkeitsvermerk blieb bestehen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schenkungsteuerbescheid vom 09.10.2014 Bezug...