Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für ein verheiratetes, volljähriges Kind
Leitsatz (redaktionell)
Ist ein in der erstmaligen Berufsausbildung befindliches, volljähriges Kind verheiratet, so besteht ein Kindergeldanspruch für dieses Kind. Dieser besteht ab 2012 unabhängig von dessen eigenen Einkünften und von einer typischen Unterhaltssituation gegenüber dem Ehegatten.
Normenkette
EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 62
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Kindergeld für ein volljähriges verheiratetes Kind.
Die am xx.yy.1990 geborene Tochter der Klägerin, M. W., ist seit dem xx.7.2009 verheiratet. Sie verließ im Juli 2009 nach der 12. Klasse das Gymnasium und befand sich vom 1.10.2009 bis zum 30.9.2012 in einer Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin.
Die Beklagte gewährte der Klägerin zunächst Kindergeld für ihre Tochter M. sowie für die weitere Tochter N. (geb. xx.yy.1989), die sich in einem Studium befand. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für M. ab Februar 2011 auf, weil sich das Einkommen des Ehemannes, E. W., erhöht habe.
Ab Januar 2012 beantragte die Klägerin erneut Kindergeld für ihre Tochter M.. Sie gab an, dass ihr Schwiegersohn ab diesem Zeitpunkt lediglich über ein monatliches Einkommen in Höhe von 390,– EUR verfüge, während M. im Jahr 2012 insgesamt eine Bruttoausbildungsvergütung in Höhe von 8.966,55 EUR erhalten werde.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass bei einem verheirateten Kind nicht mehr die Eltern, sondern der Ehegatte zum Unterhalt verpflichtet sei.
Im Einspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, dass der Ehegatte ihrer Tochter aufgrund zu geringer Einkünfte nicht zum Unterhalt verpflichtet sei und dass ab 2012 für volljährige Kinder in einem Ausbildungsverhältnis keine Einkommensprüfung mehr vorzunehmen sei.
Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. Auf das Einkommen des Ehegatten komme es nicht an, da bereits die eigenen Einkünfte und Bezüge der Tochter den Grenzbetrag überstiegen.
Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, dass die bisher in § 32 Abs. 4 Sätze 2 bis 10 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geregelte Einkünfte- und Bezügegrenze ab 2012 entfallen sei.
Die Klägerin beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 9.3.2012 und die Einspruchsentscheidung vom 29.3.2012 aufzuheben und die Beklagten zu verpflichten, dem Antrag auf Kindergeld für M. von Januar bis September 2012 stattzugeben,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass ein sog. Mangelfall vorliege.
Nach richterlichem Hinweis, dass es nach Wegfall der Prüfung der eigenen Einkünfte und Bezüge eines Kindes auch nicht mehr auf das Vorliegen eines Mangelfalles ankomme, beruft sich die Beklagte auf die Weisungslage (DA 31.2.2 FamEStG).
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Ablehnung der beantragten Kindergeldfestsetzung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat für den Zeitraum Januar bis September 2012 einen Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter M..
Die Tochter der Klägerin erfüllt die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für volljährige Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gemäß §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) EStG, da sie sich in diesem Zeitraum in einer Berufsausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin befand. Die Einschränkung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der ab 2012 gültigen Fassung, wonach ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums nur dann berücksichtigt wird, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, greift im Streitfall nicht, da es sich um eine Erstausbildung handelt. Ein vorangegangener Besuch des Gymnasiums erfüllt zwar den Berücksichtigungstatbestand der Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) EStG, stellt aber keine „erstmalige Berufsausbildung” im Sinne der enger auszulegenden Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG dar. Letztere liegt nur vor, wenn dem Kind alle notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt wurden, die es für die Ausübung des von ihm angestrebten Berufes benötigt (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 31. Auflage 2012, § 32 Rn. 49 und BMF-Schreiben vom 7.12.2011, BStBl. I 2011, 1243, Tz. 21).
Weitere Voraussetzungen enthält das Gesetz nicht. Die Höhe der Ausbildungsvergütung der Tochter ist für den Kindergeldanspruch nicht maßgeblich, da die in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der bis zum 31.12.2011 gültigen Fassung (EStG a. F.)...