Entscheidungsstichwort (Thema)
Formunwirksamkeit einer per Telefax von einem Steuerberater eingereichten Klageschrift
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Steuerberater muss seit dem 1.1.2023 ein besonderes elektronisches Postfach (beSt) unterhalten und nutzen.
2. Eine von einem Steuerberater im finanzgerichtlichen Verfahren eingereichte Klage ist zwingend als elektronisches Dokument zu übermitteln.
3. Eine per Telefax übermittelte Klage gilt als nicht erhoben und ist unzulässig.
4. Jedes Verschulden, auch einfache Fahrlässigkeit, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Dies gilt erst recht, wenn keine Wiedereinsetzungsgründe angegeben oder sonst bekannt sind.
Normenkette
FGO §§ 52d, 56, 62 Abs. 2 S. 1; StBerG §§ 86c, 86d, 157e; StBPPV § 4; FGO § 52a
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Zulässigkeit der Klage strittig.
Die Klägerin erhob, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Herrn Steuerberater S., Klage gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2018 und 2019 vom 25.7.2022 und vom 2.8.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2022. Die Klage wurde per Fax am Montag, den 16.1.2023 bei Gericht angebracht.
Mit richterlicher Verfügung vom 4.5.2023, versandt am 9.5.2023, wies der Berichterstatter den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf Folgendes hin:
„Ich möchte in diesem Verfahren den folgenden rechtlichen Hinweis erteilen:
Die Klage ist nach derzeitiger Aktenlage unzulässig.
Steuerberaterinnen und Steuerberater sind seit dem 1.1.2023 gem. § 52d Satz 1 FGO verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen an das Finanzgericht als elektronisches Dokument zu übermitteln, wenn ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 „zur Verfügung steht”. Bei dem besonderen Steuerberaterpostfach (beSt) handelt es sich um einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne der genannten Vorschrift.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 28.4.2023 XI B 10/22 entschieden, dass Steuerberater seit dem 1.1.2023 zur aktiven Nutzung des beSt verpflichtet sind. Der erkennende Senat teilt – nach Vorberatung unter den zur Entscheidung berufenen Berufsrichtern – die Rechtsauffassung des BFH. Damit ist die am 16.1.2023 per Telefax eingegangene Klage nicht in der gebotenen Form eingereicht worden. Der Formverstoß führt zur Unwirksamkeit und schließt damit insbesondere eine Fristwahrung aus (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27.4.2022 XI B 8/22, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2022, 1057, Rz 12; vom 23.8.2022 VIII S 3/22, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 276, 566, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2023, 83, Rz 9; vom 29.11.2022 VIII B 88/22, juris, Rz 6).
Begehren Sie wegen verspäteter elektronischer Übermittlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) mit der Begründung, dass Sie bei Ablauf der Frist für die Nutzung des beSt noch nicht freigeschaltet worden seien, müssen sie darlegen, weshalb sie von der Möglichkeit der Priorisierung ihrer Registrierung durch die Steuerberaterkammer (sog. „fast lane”) keinen Gebrauch gemacht haben.
Ein Antrag auf Wiedereinsetzung mit einem Vortrag, warum die „fast lane” nicht genutzt wurde, wurde bislang nicht gestellt.
Vor dem Hintergrund des Vorstehenden bitte ich um Prüfung und um Mitteilung bis zum 31.5.2023, ob die Klage zurückgenommen werden soll. Sollte bis zum 31.5.2023 keine Klagerücknahme oder ein ausreichend begründeter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingehen, ist beabsichtigt, über den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid klageabweisend zu befinden.
Im Fall der Rücknahme der Klage ermäßigt sich die Gerichtsgebühr (Verfahrensgebühr) auf die Hälfte. Nach Ergehen eines Gerichtsbescheids kommt eine Kostenreduzierung nicht mehr in Betracht.”
Datierend auf den 12.5.2023 beantragte der Prozessbevollmächtigte durch mittels beSt übersandtem Schriftsatz die im gerichtlichen Schreiben vom 9.5.2023 benannte Frist zum 31.5.2023 zur Stellungnahme zur Unzulässigkeit der Klage wegen Formverstoßes und betreffend die Begründung der Klage um einen Monat zu verlängern. Der Berichterstatter hat die Frist stillschweigend antragsgemäß verlängert.
Mit mittels beSt übersandtem Schriftsatz vom 31.5.2023 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, dass unter Bezugnahme auf das Schreiben des Gerichts vom 9.5.2023 die Klage nicht zurückgenommen werde. Zudem werde dem richterlichen Hinweis folgend, Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zur Begründung des Antrages werde aufgrund der aktuellen Erkrankung des Unterzeichners um Fristverlängerung bis zum 2.6.2023 gebeten. Eine weitere Begründung des Antrags ist in der Folgezeit bis zum Tag der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
ihr Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren und in der Sache die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2018 und 2019 ...