Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine Aussetzung der Vollziehung bei Bedenken gegen die Gültigkeit einer Gesetzesvorschrift - hier: § 27b UStG = Änderung der Steuerfestsetzung bei Bauleistungen wegen unrichtiger Festsetzung nach § 13b UStG
Leitsatz (redaktionell)
1. a) Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, der auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift gestützt wird, setzt wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes voraus.
b) Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung von AdV sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer AdV hinsichtlich des Gesetzesvollzuges und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an. Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift ist bei dieser Abwägung nicht von ausschlaggebender Bedeutung.
2. . Da im vorliegenden Fall der Antragsteller faktisch nur das Insolvenzrisiko trägt, welches er gemäß § 27 Abs. 19 UStG durch eine Abtretung des Nachforderungsanspruchs gegen den Leistungsempfänger auf den Staat abwälzen kann und er der Anregungen des Finanzamts, berichtigte Rechnungen zu erstellen und den Anspruch daraus an das Finanzamt abzutreten ohne Begründung nicht gefolgt ist, kann im summarischen Verfahren keine Beeinträchtigung erkannt werden, die es erlaubt, dem individuellen Rechtschutzinteresse Vorrang vor dem Gültigkeitsanspruch des formellen Gesetzes einzuräumen.
Normenkette
UStG § 13b Abs. 2, § 27 Abs. 19; FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob das Finanzamt Umsatzsteuerbescheide ändern durfte.
Die Antragstellerin führte in den Streitjahren Bauleistungen in Sinn von § 13b Abs. 2 Nr. 4 Umsatzsteuergesetz (UStG) an eine Bauträgerin aus. In Anwendung der damals gültigen Verwaltungsvorschriften gingen die Antragstellerin und die Leistungsempfängerin davon aus, dass letztere die Umsatzsteuer gemäß § 13b Abs. 5 UStG schulde. Dementsprechend wies die Antragstellerin auf ihren Rechnungen keine Umsatzsteuer aus und meldete für diese Umsätze auch keine Umsatzsteuer an.
Ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre stimmte das Finanzamt zu; sie standen gemäß § 168 Abgabenordnung (AO) Steuererklärungen unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
Im Gefolge der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.08.2013 V R 37/10, BStBl II 2014, 128, berichtigte die Leistungsempfängerin ihre Steuererklärungen und forderte die Umsatzsteuer aus den genannten Umsätzen zurück. Daraufhin forderte das beklagte Finanzamt die Antragstellerin auf, ihrerseits die Steuererklärungen zu berichtigen und auf diese Umsätze Umsatzsteuer zu entrichten. Da sie dieser Aufforderung nicht nachkam, änderte das Finanzamt die streitigen Festsetzungen mit Änderungsbescheiden vom 24.06.2015 unter Berufung auf § 27 Abs. 19 UStG. Hieraus resultieren Nachforderungsbeträge in Höhe von rund 150.000 €.
Über den gegen diese Bescheide erhobenen Einspruch hat das Finanzamt noch nicht entschieden. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide lehnte es mit Bescheid vom 28.07.2015 ab.
Hierauf beantragte die Antragstellerin bei Gericht, die Umsatzsteuerbescheide vom 24.06.2015 für die Jahre 2010 bis 2012 vollumfänglich von der Vollziehung auszusetzen.
Sie begründet dies im Wesentlichen wie folgt: Die Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 UStG sei sehr zweifelhaft und deswegen in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Daraus resultierten ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide, die eine Aussetzung rechtfertigten. Zudem ergäbe sich aus der Notwendigkeit, für die Nachforderungsbeträge zumindest in Vorleistung gehen zu müssen, eine unbillige Härte für sie. Auch sei unklar, ob sie die Beträge tatsächlich zivilrechtlich zurückfordern könnte, da Verjährung zu befürchten sei.
Das Finanzamt beantragt, den Antrag abzuweisen und begründet dies im Wesentlichen damit, dass es keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 UStG habe und es eine unbillige Härte angesichts des zivilrechtlichen Zahlungsanspruchs gegenüber der Leistungsempfängerin und der Möglichkeit, diesen Anspruch an Erfüllung statt dem Finanzamt abzutreten, nicht erkennen könne.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag ist unbegründet. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen bei der gebotenen überschlägigen Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts und der präsenten Beweismittel keine ernsthaften Zweifel.
Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefocht...