Revision eingelegt (BFH VIII R 19/15)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahren einer gestuften Selbstanzeige zur Nachbesteuerung bisher nicht erklärter Kapitalerträge eines Schweizer Bankkontos
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein grobes Verschulden ist hinsichtlich einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache anzunehmen, wenn der steuerlich beratene Steuerpflichtige oder dessen steuerlicher Berater es versäumen, den entscheidungserheblichen Sachverhalt der Finanzbehörde noch im Rahmen eines fristgerechten Einspruchs zu unterbreiten.
2. Die Nicht-Mitteilung einer begünstigenden Tatsachen in laufender Einspruchsfrist, die nicht grob schuldhaft ist, wird von einem grob schuldhaften Fehlverhalten vor Erlass des Bescheids überlagert.
3. Die Frage, ob allein die unterlassene Einlegung eines Einspruchs ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden steuermindernder Tatsachen begründet, stellt sich nur dann, wenn nicht schon vor Erlass des Bescheids ein grob schuldhaftes Fehlverhalten des Steuerpflichtigen vorgelegen hat bzw. wenn das erste, den zu ändernden Steuerbescheid auslösende Fehlverhalten des Steuerpflichtigen nicht grob verschuldet war.
4. Ist ein Änderungsbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bereits ergangen, so können Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen in erleichterter Form nur noch in einem Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren über den Änderungsbescheid geltend gemacht werden. Unterlässt der Steuerpflichtige dies, so kann er Tatsachen oder Beweismittel zu seinen Gunsten nur noch unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO, also dann geltend machen, wenn ihn am nachträglichen Bekanntwerden kein grobes Verschulden trifft.
5. a) Die Änderung des Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen hat gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 AO trotz dessen groben Verschuldens am nachträglichen Bekanntwerden zu erfolgen, wenn die steuermindernden Tatsachen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen stehen, die zu einer höheren Steuer führen. Der Zusammenhang zwischen steuererhöhenden und steuermindernden Tatsachen muss auf einer sachlichen Verknüpfung beruhen. Eine solche Verknüpfung ist gegeben, wenn der steuererhöhende Vorgang nicht ohne den steuermindernden Vorgang denkbar ist
b) Das Vorhandensein von privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 S. 1 EStG ist nicht mit den konkret bezifferten Einnahmen und Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in dem Sinn verknüpft, dass der steuererhöhende Vorgang, nämlich das Vorhandensein privater Veräußerungsgeschäfte, nicht ohne den steuermindernden Vorgang, nämlich der Ermittlung der konkreten Einnahmen und Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, denkbar ist.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob nach Ergehen bestandskräftiger und endgültiger Änderungsbescheide aufgrund vom steuerlichen Berater der Klägerin nacherklärter geschätzter Erträge die konkret ermittelten Besteuerungsgrundlagen für aus der Schweiz stammende Einkünfte aus Kapitalvermögen und sonstige Einkünfte aus Spekulationsgeschäft noch durch Änderung der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2008 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO berücksichtigt werden können.
Die Klägerin teilte dem Finanzamt durch ihren steuerlichen Vertreter durch Schreiben vom 08.03.2010 mit, dass sie Kapitalerträge aus Anlagen bei zwei Schweizer Banken erzielt habe und fügte - da bisher nur die jeweiligen Depotbestände zum Jahresende bekannt seien - eine Schätzung der Erträge aus dem Depot für die Jahre 1999 bis 2009 bei. Anrechenbare ausländische Quellensteuer und Depotgebühren seien bisher nicht berücksichtigt worden. Zunächst sei im Wege der Schätzung eine Nachveranlagung durchzuführen; sobald die von der Klägerin angeforderten Erträgnisaufstellungen vorlägen, könnte die endgültige Veranlagung detailliert durchgeführt werden. Die Erträgnisse (gemeint wohl Einkünfte) würden im Rahmen der detaillierten Steuererklärungen deutlich niedriger sein.
Das Finanzamt erließ am 26.03.2010 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2008, die nach § 165 Abs. 1 S. 2 AO teilweise vorläufig ergingen. Das Finanzamt erhöhte hierbei die bisher angesetzten Einnahmen aus Kapitalvermögen um die nacherklärten ausländischen Kapitalerträge und setzte Einnahmen, Werbungskosten und Sparerfreibetrag wie folgt an:
1999 |
2000 |
2001 |
2002 |
2003 |
2004 |
2005 |
2006 |
2007 |
2008 |
(DM) |
(DM) |
(DM) |
(€) |
(€) |
(€) |
(€) |
(€) |
(€) |
(€) |
nacherklärte ausländische Kapitalerträge: |
49.298 |
54.286 |
33.075 |
12.361 |
24.686 |
18.401 |
19.855 |
13.358 |
13.222 |
6.434 |
Einnahmen aus Kapitalvermögen: |
90.704 |
92.493 |
68.726 |
29.004 |
38.060 |
29.201 |
31.029 |
27.091 |
30.941 |
27.608 |
Werbungskosten bzw. Pauschbetrag: |
1.621 |
2.151 |
1.871 |
686 |
858 |
655 |
740 |
1.015 |
1.071 |
1.319 |
Sparerfreibetrag: |
6.000 |
3.000 |
3.000 |
1.550 |
1.550 |
1.370 |
1.370 |
1.370 |
750 |
750 |
Einkünfte aus Kapitalvermögen: |
83.083 |
87.342 |
63.855 |
26.768 |
35.652 |
27.176 |
28.919 |
24.706 |
29.120 |
25.539 |
Das Finanzamt erläute...