Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 KBV
Leitsatz (redaktionell)
§ 1 KBV erfasst Vorgänge der Steuerfestsetzung und des Rechtsbehelfsverfahrens. Sowohl § 156 AO als auch § 1 KBV sprechen von Festsetzungen; die Unanfechtbarkeit dieser Festsetzung wird nicht vorausgesetzt. Steuerfestsetzungen sind zweifelsfrei auch rechtswidrige Steuerfestsetzungen. Mithin können auch rechtswidrige Steuerfestsetzungen - aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung - nicht korrigiert werden, wenn die Betragsgrenze der KBV nicht überschritten wird.
Normenkette
UStG § 17 Abs. 1 S. 6; KBV § 1 Abs. 2; AO § 156
Nachgehend
Tatbestand
Mit ihrer am 29.12.2010 eingereichten Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr errechnete die Klägerin eine verbleibende Umsatzsteuer i.H.v. 2.073 €; diese Steuererklärung stand gemäß § 168 Abgabenordnung (AO) einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. In der Erklärung hatte sie einen Betrag von -9,79 € als Steuerbeträge, die nach § 17 Abs. 1 Satz 6 Umsatzsteuergesetz (UStG) geschuldet werden (Zeile 103 des amtlichen Formulars für 2009) erklärt.
Das Finanzamt änderte mit Umsatzsteuerbescheid vom 21.01.2011 die Festsetzung auf 2.092,58 €, indem es das Vorzeichen für diesen Betrag (Steuerbeträge, die nach § 17 Abs. 1 Satz 6 UStG geschuldet werden) korrigierte.
Der fristgerechte Einspruch blieb erfolglos. Im Einspruchsverfahren hatte die Klägerin erklärt, dass der Betrag, wenn er als fehlerhaft beurteilt werde, nur gestrichen werden könne. Aus einem Telefonvermerk des Finanzamts vom 27.01.2011 ergibt sich, das der Steuerberater klargestellt habe, dass es sich bei dem strittigen Betrag nicht um einen Steuerbetrag nach § 17 UStG handele; es sei vielmehr eine Rundungsdifferenz. Dieser Eintrag werde genutzt, um die festzusetzende Umsatzsteuer um den höchst möglichen Betrag unter 10 € auf volle Euro abzurunden. Dies diene dem Zweck, § 1 Abs. 2 der Kleinbetragsverordnung (KBV) auszunutzen. Dies handhabe die Kanzlei bei allen Mandanten dieserart.
Fristgerecht hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt, den Änderungsbescheid vom 21.01.2011 über Umsatzsteuer 2009 sowie die Einspruchsentscheidung vom 01.10.2012 ersatzlos aufzuheben. Sie begründet dies im Wesentlichen damit, dass eine Änderung des Betrages vom -9,79 € nur in einen Betrag von 0,00 € erfolgen könne. Die Änderung betrage daher „unstreitig” nur 9,79 €. Deswegen sei es der Beklagten nach § 156 Abs. 1 AO i.V.m. § 1 Abs. 2 KBV verwehrt, einen Änderungsbescheid zu erlassen.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen und begründet dies im Wesentlichen wie folgt:
Eine Änderung der mit Umsatzsteuerbescheid vom 21.01.2011 erhöhten Umsatzsteuer sei nicht mehr möglich. Die materiell zutreffende Umsatzsteuer sei nur um 9,79 € niedriger als die zuletzt festgesetzte Umsatzsteuer. Eine Änderung unter 10 € verbiete jedoch die KBV. Die KBV sei insoweit technisch auszulegen: Bei der Änderung käme es auf die zuletzt festgesetzte Umsatzsteuer und nicht auf die richtige Umsatzsteuer an.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 12.12.2012, das Finanzamt mit Schriftsatz vom 02.12.2012 auf mündliche Verhandlung verzichtet und sein Einverständnis zu einer Entscheidung durch den zum Berichterstatter bestellten Richter gegeben.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet, da einer Änderung der mit Bescheid vom 21.01.2011 geänderten Umsatzsteuer die Kleinbetragsverordnung (KBV) entgegensteht.
Nach § 156 Abgabenordnung (AO) kann das Bundesministerium der Finanzen zur Vereinfachung der Verwaltung durch Rechtsverordnung bestimmen, dass Steuern oder steuerliche Nebenleistungen nicht festgesetzt werden, wenn der Betrag, der festzusetzen ist, einen durch diese Rechtsverordnung zu bestimmenden Betrag voraussichtlich nicht übersteigt; der zu bestimmende Betrag darf 10 € nicht überschreiten. Nach der in Ausfüllung dieser Verordnungsbefugnis erlassenen KBV wird eine angemeldete Umsatzsteuervorauszahlung, eine für das Kalenderjahr angemeldete Umsatzsteuer, eine angemeldete Feuerschutzsteuer oder eine angemeldete Versicherungsteuer von der Finanzbehörde nur abweichend festgesetzt, geändert oder berichtigt, wenn die Abweichung von der angemeldeten Steuer mindestens 10 € beträgt. Dasselbe gilt, wenn diese Steuern durch Steuerbescheid festgesetzt worden sind (§ 1 Abs. 2 KBV).
§ 1 KBV erfasst Vorgänge der Steuerfestsetzung und des Rechtsbehelfsverfahrens (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO, § 156 Rz. 6). Sowohl § 156 AO als auch § 1 KBV sprechen von Festsetzungen; die Unanfechtbarkeit dieser Festsetzung wird nicht vorausgesetzt. Steuerfestsetzungen sind zweifelsfrei auch rechtswidrige Steuerfestsetzungen. Mithin können auch rechtswidrige Steuerfestsetzungen - aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung - nicht korrigiert werden, wenn die Betragsgrenze der KBV nicht überschritten wird. Die Klägerin hat die geänderte Festsetzung letztlich mit dem Argument angegriffen...