Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (BFH V B 167/14)

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldberechtigung für Staatenlose bei unmittelbare Einreise aus einem Nicht-EU/EWR-Staat

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zur Einbeziehung der Staatenlosen und deren Gleichbehandlung mit Inländern (EG-Verordnungen 1408/71 und 883/2004) gelten nur für die Einreise aus einem EU/EWR-Staat nach Deutschland. Bei unmittelbarer Einreise aus einem Drittland können aus der Verordnung keine Rechte abgeleitet werden.

2. Eine staatenlose Person kann aus der EG-Verordnung 1408/71 und 883/2004 keine Rechte auf Kindergeld ableiten, wenn sie nach Deutschland aus einem Land eingereist ist, das im Zeitpunkt der Ausreise kein EU-Mitglied und damit ein Drittland war.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 2; EGVO 1408/71; EGVO 883/2004

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 10.05.2023; Aktenzeichen 2 BvR 2069/15)

 

Tatbestand

Streitig ist das Kindergeld für S (geb. xx.xx.2007).

Die Klägerin ist staatenlos. Die Stadt O erteilte ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG vom 24.07.2007 befristet bis 24.07.2009. Nach der Bescheinigung der Stadt T, Einwohneramt, vom 21.01.2013 besitzt die Klägerin seit dem 25.05.2012 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Sie kam nach der Bescheinigung am 17.04.1986 nach Deutschland. Nach den Nebenbestimmungen zum Aufenthaltstitel ist eine selbständige Erwerbstätigkeit nicht erlaubt, eine Beschäftigung ist uneingeschränkt erlaubt. Die Klägerin ist zur Wohnsitznahme im Stadtgebiet T verpflichtet. Die Klägerin erhält Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Bescheide der Stadt T, Sozialamt, vom 02.04.2012 und 04.12.2012).

Die Klägerin erhielt zunächst laufend Kindergeld für S bis November 2012.

Mit Bescheid vom 11.02.2013 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für S ab Dezember 2012 auf.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ausländischen Staatsangehörigen nur dann Kindergeld zustehe, wenn sie in Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit oder einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 und 2, den §§ 31, 37 und 38 des AufenthG oder einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einem deutschen oder zu einer von den Nummern 1 -3 erfassten Personen sind. Diese vorliegenden Voraussetzungen seien nach den vorliegenden Unterlagen für die Klägerin nicht erfüllt.

Mit Änderungsbescheid vom 08.10.2013 wurde der Aufhebungsbescheid dahin geändert, dass die Kindergeldfestsetzung für S erst ab März 2013 aufgehoben wird.

Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos.

Mit der Klage beantragt der Prozessbevollmächtigte sinngemäß unter Aufhebung des Aufhebungsbescheides vom 11.02.2013 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 08.10.2013 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 11.10.2013 die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für S in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin stamme ursprünglich aus Rumänien. Im Jahr 1988, also im Alter von zwei Jahren, sei sie mit ihren Eltern aus Rumänien nach Deutschland geflohen. Sie sei gemäß dem rumänischen Dekret Nr. 180 vom 26.03.1990 aus der rumänischen Staatsangehörigkeit entlassen worden. Seitdem gelte die Klägerin als staatenlos. Die Beklagte verkenne, dass die Klägerin als staatenlose Roma unter die freizügigkeitsberechtigten Ausländer falle, da sie ursprünglich aus Rumänien stamme. Sie sei eine "EU-Bürgerin".

Die Klägerin stehe über Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 3 Abs. 1 der Verordnung EU-Nr. 1408/71 in Verbindung mit dem Abkommen über Staatenlose den Staatsangehörigen der EU-Mitgliedsstaaten gleich, weil sie im EU-Staat Rumänien geboren sei und diesen im Jahr 1988 verlassen habe. Die Ablehnung der Kindergeldzahlung könne nicht davon abhängen, dass die Klägerin 1990, also kurz nach der Revolution, von Rumänien ausgebürgert worden sei. Die Diskriminierung der Eltern in Rumänien und das Verlassen des Landes dürfe nicht 23 Jahre später dazu führen, dass der Klägerin Kindergeld verweigert werde. Die EU sei nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern stelle auch eine Wertegemeinschaft dar. Die Regeln über die Freizügigkeit müssten daher auch auf Staatenlose übertragen werden, die aus der EU stammen.

Die beantragt Klageabweisung.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass für die Klägerin nur eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 2 Nr. 2c EStG in Frage komme, da sie einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG habe. In diesen Fällen müsse aber zusätzlich noch die Voraussetzung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG erfüllt sein. Danach könne eine Person, die einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 3 bis Abs. 5 AufenthG habe nur dann für das Kindergeld berücksichtigt werden, wenn sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalte und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sei oder laufende Geldleistungen nach dem SGB III beziehe oder Elternzeit ...

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