Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorliegen eines Wohnsitzes im Sinne von § 8 AO Schätzung von Besteuerungsgrundlagen Erhöhte Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten
Leitsatz (redaktionell)
1. a) Ein inländischer Wohnsitz führt auch dann zur unbeschränkten Steuerpflicht des Steuerpflichtigen im Inland, wenn sich sein Mittelpunkt der Lebensinteressen im Ausland befindet (vgl. BFH-Urteil vom 28.01.2004 I R 56/02 vom 28.01.2004).
b) Melderecht ist nur ein Indiz, denn melderechtliche Angaben sind unerheblich (vgl. BFH III B 53/13 vom 19.09.2013).
2. a) Nach § 90 Abs. 2 AO haben die Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Sie müssen eine erschöpfende, durch die Finanzbehörden überprüfbare und für eine richtige Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ausreichende Gesamtdarstellung des konkreten steuerrelevanten Sachverhalts geben. Für den von ihnen vorgetragenen Sachverhalt haben die Steuerpflichtigen die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Die Beweismittelbeschaffungspflicht wird nach § 90 Abs. 2 Satz 3 AO durch die Verpflichtung ergänzt, für eine mögliche und rechtzeitige Beweismittelbeschaffung Vorsorge zu treffen.
b) Ziel der Schätzung ist es, anhand der vorhandenen Anhaltspunkte mit Hilfe eines verminderten Beweismaßes den Sachverhalt so zu ermitteln, dass die Besteuerungsgrundlagen die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Daher sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 S. 2 AO). Die Schätzung muss in sich schlüssig sein, ihre Ergebnisse müssen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein.
Normenkette
AO §§ 8, 19 Abs. 1, § 90 Abs. 2, § 162; EStG §§ 1, 61-62
Nachgehend
Tatbestand
Streitig sind die positiven Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (V+V), die Zuschätzungen der Zinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen durch das Finanzamt und dessen Zuständigkeit für die Veranlagung.
Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger reichten für das Streitjahr 2016 trotz mehrfacher Aufforderung keine Steuererklärung ein.
Mit Einkommensteuerbescheid 2016 vom 27.06.2018 schätzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) und setzte die Einkommensteuer auf 5.941 € fest. Die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft wurden nach Durchschnittsätzen gemäß § 13a EStG mit 262 € geschätzt, die Einkünfte aus V+V wurden mit 2.520 € geschätzt (wie im Vorjahr), die Einkünfte aus Renten wurden mit 4.943 € (Kläger) und 1.998 € (Klägerin) angesetzt sowie die streitgegenständlichen Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert wurden, mit jeweils 12.000 € Kapitalerträgen ohne Abzug eines Sparer-Pauschbetrages geschätzt, so dass sich eine "Abgeltungsteuer" von 5.941 € ergibt.
Hiergegen legten die Kläger mit Schreiben vom 24.07.2018 Einsprüche ein. Sie begründeten ihre Einsprüche damit, dass das Finanzamt unzuständig sei, weil er, der Kläger, seit 29.06.2007 seinen Wohnsitz im Ausland habe. Ferner seien keine Kapitalerträge erzielt worden. Zum Nachweis legten die Kläger Kontoauszüge der Bank 1 für die Zeiträume 01.01.2016-31.03.2016, 01.04.2016-30.06.2016, 01.07.2016-30.09.2016 und 01.10.2016-31.12.2016 vor. Diese weisen keine Gutschriften aus. Allerdings enthielten sie auch weder einen Anfangssaldo noch einen Schlusssaldo.
Die Einkommensteuererklärung 2016 ging beim Finanzamt am 25.08.2020 ein. Als Anschrift der Kläger wurde Straße 1, Stadt 1 angegeben und mit dem Hinweis "Postanschrift" versehen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 07.01.2021 wies das Finanzamt die Einsprüche als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, es bestünden keine begründeten Zweifel, dass sich der Wohnsitz nicht im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Stadt 2 befände. Es verwies insoweit auf die Urteile des Finanzgerichts Nürnberg vom 09.08.2018, Az. 4 K 306/17 und 4 K 307/17. Die Kläger hätten nicht nachgewiesen, dass sich ihre persönlichen Verhältnisse zwischenzeitlich insoweit geändert hätten.
Zudem sei das Finanzamt auch zur Schätzung von Einkünften aus Kapitalvermögen berechtigt gewesen. Es sei amts- und gerichtsbekannt, dass die Kläger über erhebliches Kapitalvermögen bei Kreditinstituten in Land 1 verfügten. Auch insoweit werde auf die beiden oben genannten Urteile verwiesen. Die Kläger hätten bislang keine glaubhaften Angaben zu Einkünften aus diesen Kapitalanlagen gemacht. Bei Auslandssachverhalten bestünden für sie erweiterte Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 2 AO). Sie hätten den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu besorgen. Diesen Mitwirkungspflichten seien sie, wie auch in den Vorjahren, nicht nachgekommen. Unterlagen, die es dem Finanzamt ermöglichen würden, die Erträge aus den ausländischen Kapitalanlagen zu überprüfen, seien trotz Aufforderung nicht vorgelegt worden. Die Schätzung der Einkünfte lasse auch der Höhe nach keine Rechtsfehler erkennen, insbesonde...