Revision eingelegt (BFH X R 19/13)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufgabe des Bekanntgabewillens durch die Behörde vor Absendung des Bescheides – kein Investitionsabzugsbetrag im Jahr der Anschaffung/Herstellung
Leitsatz (amtlich)
1. Hat die Behörde die Aufgabe des Bekanntgabewillens vor Absendung des ersten Bescheides eindeutig dokumentiert, so bedarf es keiner Änderungsvorschrift für den Erlass eines neuen Bescheides zuungunsten des Steuerpflichtigen, da es sich bei dem neuen Bescheid um den Erstbescheid handelt.
2. Im Jahr der Anschaffung/Herstellung eines beweglichen Wirtschaftsgutes ist die Inanspruchnahme eines Investitionsabzugsbetrages für dieses Wirtschaftsgut nicht mehr möglich.
Normenkette
EStG 2008 § 7g Abs. 1-2; AO § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die Wirksamkeit eines den Klägern zugegangenen Einkommensteuerbescheides 2008 vom 4. August 2009 sowie die Gewährung eines Investitionsabzugsbetrags nach § 7 g Abs. 1 und 2 EStG 2008.
Die Kläger sind für das Streitjahr zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Als Eigentümerin des von den Eheleuten und ihren drei Kindern zu Wohnzwecken selbstgenutzten Einfamilienhaus bestellte die Klägerin Mitte März 2008 eine Photovoltaikanlage, die im April 2008 geliefert und in Betrieb gesetzt wurde (Abnahme am 15. Mai 2008). Seit Mai 2008 erzielt die Klägerin aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage (Einspeisung von Solarenergie in das Stromnetz) nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelte Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die sie für das Streitjahr mit ./. 23.639,53 € erklärte (Ermittlung, Bl. 26 bis 28, i.F. jeweils: ESt-Akte 2008).
Ausgehend von den Nettoanschaffungs-/Herstellungskosten der Photovoltaikanlage (unstreitig: 60.846,98 €) hatte sie einen Investitionsabzug von 24.338,00 € (40 %) vorgenommen und vom verbleibenden Betrag (36.508,98 €) unter Berücksichtigung einer 20-jährigen Nutzungsdauer eine zeitanteilige AfA (ab April 2008) von 1.369,98 € abgezogen (5 % von 36.508,98 €; davon 9/12). Zusätzlich nahm sie die Sonderabschreibung nach § 7 g Abs. 5 EStG im Betrag von 1,00 € in Anspruch (insoweit insgesamt abgezogen: 25.708,98 €).
Im Rahmen der Veranlagungsarbeiten folgte der finanzamtliche Sachbearbeiter zunächst der klägerischen Steuererklärung und gab den erklärten gewerblichen Verlust der Klägerin von 23.640,00 € am 22. Juli 2008 in das EDV-System der Finanzverwaltung ein (Bl. 48). Am 30. Juli 2009 stornierte er maschinell den Vorgang und verfasste am selben Tag ein Schreiben an den steuerlichen Berater der Kläger - den Prozessbevollmächtigten des vorliegenden Verfahrens - des Inhalts, dass dem Berater demnächst ein Einkommensteuerbescheid 2008 betreffend die Kläger zugehen werde, der allerdings mangels Bekanntgabewillens unwirksam sei; die Versendung könne aus technischen Gründen nicht mehr aufgehalten werden (Bl. 49). Nach einer internen Hinweismitteilung erfolgte bei der zentralen Datenverarbeitung bei der Oberfinanzdirektion Koblenz am 31. Juli 2009 die maschinelle Verarbeitung der am 22. Juli 2009 eingegebenen und am 30. Juli 2009 stornierten Daten (Bl. 50). Zum vordatierten Datum 4. August 2009 verließ der verarbeitete Vorgang in Form eines Einkommensteuerbescheides 2008 die zentrale Versandabteilung der Finanzbehörde (Bl. 44).
Unter Ansatz gewerblicher Einkünfte der Klägerin von ./. 12.383,00 € erließ das Finanzamt am 18. August 2009 den Einkommensteuerbescheid 2008 (Bl. 57, 55). Den erklärten Investitionsabzug nach § 7 g Abs. 1 bzw. Abs. 2 EStG ließ es nicht zu, weil "dies Kraft Gesetz im Jahr der Anschaffung" ausgeschlossen sei. Entsprechend einem Telefonat mit dem Prozessbevollmächtigten am 4. August 2009 berücksichtigte es eine Sonderabschreibung nach § 7 g Abs. 5 EStG von 12.169,40 € (20 % der Anschaffungs-/Herstellungskosten der Photovoltaikanlage von 60.846,98 €) sowie eine zeitanteilige AfA (9 Monate) nach § 7 Abs. 1 EStG in Höhe von 2.281,76 €.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch mit der Begründung ein, dass der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 4. August 2009 wirksam geworden sei und es hinsichtlich des "Änderungsbescheides" vom 18. August 2009 an einer Korrekturmöglichkeit gefehlt habe. Das finanzamtliche Schreiben vom 30. Juli 2009 sei dem steuerlichen Berater nicht zugegangen. Abgesehen davon müsse unter Berücksichtigung des BFH-Urteils vom 17. Mai 2006 - X R 43/03 (BStBl II 2006, 868) der begehrte Investitionsabzugsbetrag gewährt werden. Mit Schreiben vom 14. September 2009 änderten die Kläger ihre Gewinnemittlung dahin, dass sie unter Hinweis auf § 7 g Abs. 2 Satz 1 EStG den Investitionsabzugsbetrag von 24.338,00 € als Betriebseinnahmen sowie gleichzeitig unter Hinweis auf Satz 2 der Vorschrift diesen Betrag als Betriebsausgaben ansetzen. Zusätzlich zogen sie den Investitionsabzugsbetrag von 24.338,00 € zusätzlich als Betriebsausgaben ab. Es verblieb bei den ursprünglich angesetzten Gewinnminderung im Gesamtbetrag von 25.708,85 € und dem begehrten gewerblichen Verlust von 23.639,53 € (Bl. 6 ESt-Akte "Einspruch 2008").
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