Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des Sozialleistungsträgers auf Abzweigung, bzw. Erstattung von Kindergeld

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Anspruch des Sozialleistungsträgers, der in vollem Umfang für die Heimunterbringungskosten eines Kindes aufkommt, auf Abzweigung gem. § 74/1 EStG ist ausgeschlossen, wenn der Kindergeldberechtigte Naturalunterhaltsleistungen mindestens in Höhe des Kindergeldes erbringt. Dazu gehören auch Aufwendungen im Zusammenhang mit Wochenend- und Ferienaufenthalten des Kindes bei ihm.

2. Der Anspruch auf Erstattung hängt - da die Heimunterbringung aus der Sicht des Hilfeempfängers eine Sachleistung darstellt - davon ab, dass der Sozialleistungsträger berechtigt ist, vom Kindergeldberechtigten einen Kostenbeitrag zu erheben (Ermessensentscheidung des Sozialleistungsträgers). Setzt der Sozialleistungsträger bei der Ermittlung des Kostenbeitrags das Kindergeld als Einkommen an, so steht dies der Erstattung des Kindergeldes gemäß § 74 Abs. 3 EStG entgegen.

 

Normenkette

EStG § 74 Abs. 1 Sätze 1, 4, Abs. 3; SGB X § 104 Abs. 1 Sätze 1, 4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das Kindergeld für S O an die Klägerin abzuzweigen ist.

S O, geboren am 30. Oktober 1984, Tochter der Beigeladenen M O, ist seit 1993 im Internat der ... Schule für Hörsprachbehinderte voll stationär untergebracht. Für die Kosten der Unterbringung kommt das Sozialamt der Klägerin auf. Die Wochenenden und Schulferien verbringt S bei ihrer Mutter. Die beklagte Familienkasse gewährte der Mutter von S Kindergeld. Die von der Klägerin begehrte Abzweigung des Kindergeldes gemäß § 74 Abs. 1 EStG lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Oktober 2000 ab. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

Mit ihrer auf Abzweigung, bzw. Erstattung gerichteten Klage trägt die Klägerin vor, sie gewähre Eingliederungshilfe / Hilfe zur Pflege in voll stationärer Form, wodurch der notwendige Unterhalt in vollem Umfang abgedeckt werde. Von der Kindergeldberechtigten werde ein Kostenbeitrag erhoben (wegen dessen Berechnung wird auf Bl. 40 Prozessakte Bezug genommen); der Bescheid sei bestandskräftig.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides 30. Oktober 2000 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2000 die Beklagte zu verpflichten, das Kindergeld für S O ab Juli 1997 an sie abzuzweigen, bzw. zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Auffassung fest und verweist auf ihre Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Eine Aussetzung des Einspruchsverfahrens sei nicht geboten gewesen, da kein einschlägiges Verfahren beim BFH anhängig sei.

Ein Anspruch auf Abzweigung des Kindergeldes könne nur bestehen, wenn die kindergeldberechtigte Mutter ihre Unterhaltspflicht nicht nur unwesentlich und auf Dauer verletze. Dies sei nicht der Fall. S werde an den Wochenenden und in den Ferien von ihrer Mutter versorgt.

Ein Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 3 EStG sei ebenfalls nicht gegeben; bei der Berechnung des Kostenbeitrags sei das Kindergeld für alle vier Kinder der Beigeladenen als Einkommen angesetzt worden.

Das Gericht hat die Mutter von S O, Frau M O beigeladen. Die Beigeladene trägt unter Beifügung eines Kontoauszuges vor, seitens der Klägerin würden von ihrem Konto monatlich 211 DM für S abgebucht.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin hat weder einen Anspruch gemäß § 74 Abs. 1 EStG auf Abzweigung des Kindergeldes, noch einen Anspruch auf Erstattung gemäß § 74 Abs. 3 EStG. Die Ansprüche gemäß § 74 Abs. 1 und Abs. 3 EStG bestehen gleichberechtigt nebeneinander (BFH Beschluss vom 30. Januar 2001 - VI B 272/99, BFH/NV 2001, S. 898).

Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 und 4 EStG kann Kindergeld an diejenige Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt gewährt, wenn der Kindergeldberechtigte seinerseits seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht nachkommt. Erreicht der Unterhaltsbeitrag nicht die Höhe des Kindergeldes, so kommt eine teilweise Abzweigung in Betracht. Das Kindergeld kann also im Falle einer Heimunterbringung an den Sozialleistungsträger abgezweigt werden, wenn gegenüber den Eltern mangels Leistungsfähigkeit kein Unterhaltsanspruch besteht. Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass die Eltern auch tatsächlich nichts zum Unterhalt des Kindes beitragen oder ihre Unterhaltsbeiträge geringer sind als das Kindergeld. Sach- und Betreuungsleistungen des Kindergeldberechtigten sind dabei Geldleistungen gleich zu stellen, Im Streitfall ist S unstreitig an den Wochenenden und in den Ferien bei ihren Eltern. Es fallen also Aufwendungen an für die Bereithaltung eines Zimmers, sowie Verpflegungs- und Betreuungsaufwand. Dabei kann der Betreuungsaufwand entsprechend der Handhabung der Beklagten mit 15 DM/Stunde angesetzt werden. Damit übersteigen die Leistungen der Beigeladenen das Kindergeld bei weitem.

§ 74 Abs. 3 EStG erklärt für Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen ge...

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