Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Ein als Systemadministrator tätiger Diplom-Ingenieur für technische Informatik kann einen freien Beruf ausüben.
Normenkette
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist nach erfolgreichem Abschluss eines Studiums der Fachrichtung Technische Informatik an einer staatlichen Berufsakademie berechtigt, die Bezeichnung Diplom-Ingenieur zu führen. Er war als Systemadministrator für Rechnernetze mit mehreren tausend Nutzern tätig.
FA und FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.08.2007, 6 K 1791/05, 6 K 1791/05, Haufe-Index 1809375, EFG 2007, 1884) beurteilten seine Tätigkeit als gewerblich.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt. Zu den ingenieurtypischen Tätigkeiten im Bereich der EDV und Informationstechnik gehöre auch die Netz- und Systemadministration. Der Kläger habe daher eine freiberufliche Tätigkeit als Ingenieur ausgeübt.
Hinweis
Was ist ein Ingenieur? Diese Frage, so sollte man meinen, kann mit Rechtswissenschaft eigentlich nichts zu tun haben. Warum auch sollten sich Juristen im Ernst damit befassen? Indes belehrt uns das Steuerrecht eines Besseren. Unter den in § 18 EStG aufgeführten steuerlich privilegierten Steuerpflichtigen findet sich auch der "Ingenieur". (Über den Sinn dieses Privilegs soll hier, nachdem das BVerfG es akzeptiert hat, nicht mehr räsoniert werden, der Rechtsanwender hat die Gesetzeslage hinzunehmen.)
Durch die Aufnahme in die Regelung des § 18 EStG wird der Begriff des Ingenieurs ein Terminus des Steuerrechts. Er ist aber im EStG oder anderen Steuergesetzen nicht definiert, er lässt sich auch nicht aus steuerrechtlichen Sachgesetzlichkeiten oder Steuerrechtsprinzipien ableiten. Vielmehr kann dieser Begriff nur durch die Anschauungen außerhalb des Steuerrechts, der Verkehrsanschauung, sozusagen aus dem wirklichen Leben heraus, konkretisiert werden. Für den Rechtsanwender, letztlich den Richter, ist das eine ungewohnte Aufgabenstellung. Man kann noch so viele Bände an juristischem Fachwissen verschlungen haben, ohne der Erkenntnis, was ein "Ingenieur" ist, dadurch ernsthaft näher zu kommen. Erforderlich ist demgegenüber ein wacher Blick in die Außenwelt.
Die Rechtsprechung greift hier traditionell auf zwei Prüfparameter zurück: Ingenieur i.S.v. § 18 EStG ist, wer über die erforderliche Berufsqualifikation verfügt (dazu nachfolgend 1.) und wer eine Ingenieurtätigkeit auch tatsächlich ausübt (dazu nachfolgend 2.).
1. Die Prüfung der Berufsqualifikation ist der leichtere Teil der Aufgabe. Über die Qualifikation eines Ingenieurs verfügt, wer aufgrund seiner Ausbildung an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule, einer Bergschule oder – wie hier erstmals entschieden – an einer staatlichen Berufsakademie nach den Ingenieurgesetzen der Länder die Berufsbezeichnung Ingenieur führen darf. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist in aller Regel mit geringem Aufwand eindeutig festzustellen.
2. Problematisch ist indes, dass ein Ingenieur nur dann unter § 18 EStG fällt, wenn er eine Tätigkeit ausübt, die von für den Ingenieurberuf typischen Aufgaben geprägt ist. Was das für Aufgaben sind, bestimmt sich nach der Verkehrsanschauung.
Die Verkehrsanschauung, also das, was vernünftige Leute gewöhnlich so meinen (oder was der Richter nach seiner Kenntnis der Außenwelt für allgemein akzeptiert hält), ist naturgemäß im Lauf der Zeiten einigem Wandel unterworfen. Und in diesem Punkt läuft der Richter ständig Gefahr, sich in einer logischen Endlosschleife zu verfangen. Hielte er sich nur an die überkommenen Präjudizien und Lehrmeinungen, so stünde etwa das Verständnis dessen, was ein Ingenieur ist, womöglich noch am Wendepunkt vom 19. zum 20. Jahrhundert. Ein Ingenieur konstruiert und baut danach Maschinen, Bergwerke, Häuser, Fabriken, Lokomotiven und Fuhrwerke, aber keine Autos, Flugzeuge oder Raketen und erst Recht keinen Computer, denn so etwas gab es damals noch nicht.
Was ingenieurtypische Aufgaben sind, muss der Richter also jeweils anhand der aktuellen Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik zu ergründen suchen. Das wird umso schwerer, je schneller sich die Entwicklung vollzieht.
Dies lässt sich besonders gut an den Berufen rund um die moderne Informationstechnologie beobachten. Hier entstehen neue berufliche Aufgabenfelder so schnell, dass die Justiz Mühe hat, Schritt zu halten. Ursprünglich hatte der BFH entschieden, dass auf dem Gebiet der EDV und Informationstechnik die Entwicklung und Konstruktion von Hard- und Software zu den Ingenieurtätigkeiten gehören. "Entwicklung und Konstruktion", das wirkt auf den ersten Blick noch recht traditionell, wie eine Reminiszenz aus der Dampfmaschinenzeit. So eng war die BFH-Rechtsprechung durchaus nicht angelegt, aber sie ist zum Teil so verstanden worden.
Nunmehr hat der BFH klargestellt, dass die ingenieurtypischen Tätigkeiten im IT-Bereich sehr viel weiter reichen, also u.a. auch die Entwicklung und Anpassung von Betriebssystemen, den Aufbau und die Verwaltung von Netzwerken und vieles mehr u...