Prof. Dr. Alexander Kratzsch
2.2.1.2.1 Fallgruppen, in denen schon nach bisheriger Rechtsprechung ein Abzug zulässig war
Rz. 42
In ständiger Rspr. erkannte der BFH schon vor der Entscheidung des Großen Senats v. 21.9.2009 zwei Ausnahmen vom Aufteilungs- und Abzugsverbot an, so die geringfügige private Nutzung (Rz. 42a) und die Aufteilbarkeit nach einem objektiven Maßstab (Rz. 44). In diesen Fällen ist ein Abzug als Erwerbsaufwand unverändert geboten.
Rz. 42a
Ein unbedeutendes und nicht ins Gewicht fallendes Mithineinspielen von Gesichtspunkten der Lebensführung ist unbeachtlich. Diese Ausnahme rechtfertigt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Sofern die Lebensführung ganz in den Hintergrund tritt und die Förderung des Betriebs/Berufs bei weitem überwiegt, sind die Aufwendungen in vollem Umfang abziehbar.
Rz. 42b
Ab welchem privaten Nutzungsanteil bei einem gemischt genutzten Gegenstand die Grenze des nicht ins Gewicht fallenden Mithineinspielens von Gesichtspunkten der privaten Lebensführung überschritten ist, ist nicht hinreichend geklärt. In der Praxis wird im Allgemeinen eine steuerschädliche private Nutzung nur dann angenommen, wenn der private Nutzungsanteil 10 % der Gesamtnutzung überschreitet. Bei einem privaten Nutzungsanteil von 15,5 % ist die Grenze der unerheblichen privaten Mitbenutzung jedenfalls überschritten (betr. Sportgeräte eines Erziehers). Bei sonstigen gemischt veranlassten Aufwendungen erfordert die Gewichtung der Motive eine wertende Betrachtung. Bei einer offenkundig erwerbswirtschaftlichen Veranlassung tritt die private Mitveranlassung regelmäßig in den Hintergrund, z. B. bei einem beruflich bedingten Umzug, der zugleich der heiratsbedingten gemeinsamen Haushaltsgründung dient, oder bei einer Reise, der ein unmittelbarer beruflicher Anlass zugrunde liegt.
Rz. 42c
Eine private Nutzung kann nur dann zum Ausschluss der Abziehbarkeit der gesamten Kosten führen, wenn sie tatsächlich vorliegt. Allein die bloße Möglichkeit einer Nutzung außer zu betrieblichen (beruflichen) auch zu Privatzwecken, verhindert keinen Abzug als Erwerbsaufwand. Bei Gegenständen, die üblicherweise für Privatzwecke angeschafft werden, kann bereits die Lebenserfahrung dafür sprechen, dass Aufwendungen durch die Lebensführung nicht nur unerheblich mit veranlasst wurden.
Spricht deshalb bereits der Anschein gegen eine betriebliche (berufliche) Nutzung, obliegt der Nachweis der nahezu ausschließlichen betrieblichen (beruflichen) Nutzung dem Stpfl. Dazu reicht nach der Rspr. des BFH die substanziierte Darlegung des Umfangs der beruflichen Nutzung durch den Stpfl. nicht aus; ein aus der Lebenserfahrung abgeleitete Anschein einer privaten Nutzung muss durch objektive Nachweise widerlegt werden. Die Forderung fahrtenbuchähnlicher Aufzeichnungen ginge aber zu weit. Unangemessen hohe Aufwendungen können ebenfalls für eine nicht nur untergeordnete private Mitveranlassung sprechen. Der Stpfl. hat die berufliche Veranlassung der Aufwendungen im Einzelnen umfassend darzulegen und nachzuweisen. Diese Anforderungen, die nach der bisherigen Rechtsprechung nur die Frage betrafen, ob der Abzug der Aufwendungen insgesamt in Betracht kam, gelten nunmehr nach der geänderten Auslegung des § 12 Nr. 1 S. 2 EStG auch für die Frage, ob ein Teil der Aufwendungen als beruflich veranlasst anerkannt werden kann.
Rz. 43
In folgenden Fällen gemischter Aufwendungen wurden wegen des nur als ganz geringfügig angesehenen Mitveranlassung durch private Gesichtspunkte die Aufwendungen insgesamt zum Abzug als Betriebsausgaben (Werbungskosten) zugelassen:
- Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer, wenn der Raum so gut wie ausschließlich beruflich genutzt wird, bzw. wenn eine private Nutzung, z. B. zum gelegentlichen Schreiben von Privatbriefen, von ganz untergeordneter Bedeutung ist.
- Aufwendungen für den schwarzen Anzug eines Oberkellners, wenn die private Verwendung nicht ins Gewicht fällt, ebenso für den Anzug des Leichenbestatters; für schwarze Röcke, nicht aber weiße Blusen, einer Serviererin; für weiße Hemden, Hosen und Socken eines Arztes.
- Aufwendungen eines Facharztes für einen Kongress und Fachärztetreffen im Ausland mit konkretem beruflichen Anlass (z. B. Halten eines Vortrags), auch wenn die zwischen den Veranstaltungen liegende Zeit für private Unternehmungen genutzt werden kann; anders, wenn die "freien Tage" programmgemäß so ausgefüllt sind, dass sie touristisch reizvolle Möglichkeiten eröffnen; s. a. Rz. 80 "Reiseaufwendungen".
- Reisekosten eines Reisejournalisten, wenn die Reise nach den äußeren Umständen weitaus überwiegend durch berufliche Erwägungen veranlasst ist.
- Die durch die Beschädigung des Pkw eines Arbeitnehmers eingetretene außergewöhnliche technische Abnutzung i. S. d. § 7 Abs. 1 S. 4 EStG, sofern das Fahrzeug nahezu ausschließlich beruflich genutzt wird.
- Kosten für den Bezug des "Handelsblatts" durch einen Unternehmensberater wegen der Ähnlichkeit mit einer Fachzeitschrift; anders bei Tageszeitungen und Zeitschriften; s. a. Rz. 234.
- Aufwendungen eines Gastwirts für...