Joachim Moritz, Dr. Joachim Strohm
Rz. 312
§ 20 Abs. 4 S. 7 EStG sieht vor, dass bei vertretbaren Wertpapieren, die einer Verwahrstelle zur Sammelverwahrung i. S. d. § 5 DepotG anvertraut sind, zu unterstellen ist, dass die zuerst angeschafften Wertpapiere zuerst veräußert wurden. Bei der Streifbandverwahrung i. S. d. § 2 DepotG ist § 20 Abs. 4 S. 7 EStG entsprechend anzuwenden.
Rz. 313
Die Sammelverwahrung i. S. d. § 5 DepotG stellt eine verbreitete Form der Wertpapierverwahrung dar, die auch als Girosammelverwahrung bezeichnet wird. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass eine Verwahrstelle die von verschiedenen Kunden hinterlegten Wertpapiere gleicher Gattung zusammen aufbewahrt. Einziger Sammelverwahrer in Deutschland ist die aus der Deutsche Börse Clearing AG hervorgegangene Clearstream Banking AG, eine Tochtergesellschaft der Clearstream International S.A. Die Sammelverwahrung hat zur Folge, dass der Kunde das Alleineigentum an den von ihm hinterlegten Wertpapieren verliert und stattdessen einen Miteigentumsanteil am Sammelbestand erwirbt. Von der Sammelverwahrung ist die Streifbandverwahrung i. S. d. § 2 DepotG zu unterscheiden, die eine Form der Sonderverwahrung darstellt. Bei ihr werden die von einem Kunden hinterlegten Wertpapiere getrennt von den Wertpapieren der anderen Kunden aufbewahrt und mit einem Streifband umgeben, auf dem unter anderem der Name des Kunden vermerkt ist. Folge der Streifbandverwahrung ist, dass der Kunde Alleineigentümer der von ihm hinterlegten Wertpapiere bleibt und nicht lediglich einen Miteigentumsanteil an einem Sammelbestand erwirbt.
Rz. 314
Sowohl bei der Sammelverwahrung i. S. d. § 5 DepotG als auch bei der Streifbandverwahrung i. S. d. § 2 DepotG ist im Falle einer Veräußerung nicht mehr feststellbar, wann die veräußerten Wertpapiere angeschafft wurden und wie hoch die Anschaffungskosten des Kunden waren. Bei der Sammelverwahrung liegt dies daran, dass die hinterlegten Wertpapiere Bestandteil eines einheitlichen Sammelbestandes werden. Bei der Streifbandverwahrung folgt dies daraus, dass alle hinterlegten Wertpapiere eines Kunden mit einem einzigen Streifband umgeben werden. § 20 Abs. 4 S. 7 EStG bestimmt daher, dass im Falle der Sammelverwahrung i. S. d. § 5 DepotG die zuerst angeschafften Wertpapiere als zuerst veräußert gelten. Bei der Streifbandverwahrung i. S. d. § 2 DepotG ist § 20 Abs. 4 S. 7 EStG aufgrund der vergleichbaren Schwierigkeiten entsprechend anzuwenden. Die von § 20 Abs. 4 S. 7 EStG festgelegte Verbrauchsreihenfolge zur Ermittlung der Anschaffungskosten wird als Fifo-Methode (first in, first out) bezeichnet. Andere Methoden der Sammelbewertung sind die Durchschnittsmethode und die Lifo-Methode (last in, first out).
Rz. 315
§ 20 Abs. 4 S. 7 EStG ist zwingendes Recht und kann daher vom Kunden nicht durch eine entsprechende Vereinbarung mit der Verwahrstelle außer Kraft gesetzt werden. Zu berücksichtigen ist aber, dass die Verbrauchsreihenfolge des § 20 Abs. 4 S. 7 EStG nur in Bezug auf das einzelne Depot Anwendung findet. Entgegen dem Wortlaut des § 20 Abs. 4 S. 7 EStG kommt es also nicht auf die einzelne Verwahrstelle an. Durch die Verwahrung gleicher Wertpapiere in unterschiedlichen Depots kann der Kunde die Verbrauchsreihenfolge des § 20 Abs. 4 S. 7 EStG daher umgehen. Als Depot i. S. d. § 20 Abs. 4 S. 7 EStG gilt dabei auch ein Unterdepot, sofern es mit einer laufenden Depotnummer versehen ist. Keine Anwendung findet § 20 Abs. 4 S. 7 EStG, wenn die veräußerten Kapitalanlagen nicht in Wertpapieren verbrieft sind (z. B. Veräußerung oder Glattstellung von Optionen) oder wenn es von vorneherein an einer Veräußerung fehlt (z. B. Ausübung von Optionen mit Differenzausgleich). In diesen Fällen müssen die Anschaffungskosten nach der Durchschnittsmethode ermittelt werden. Die Parteien können aber auch eine andere Bewertungsmethode vereinbaren, die dann auch steuerlich anzuerkennen ist (z. B. Fifo-Methode, Lifo-Methode).
Ermittlung des Veräußerungsgewinns bei Wertpapieren in Sammelverwahrung
A hat in den Jahren 2010 bis 2012 folgende Aktien der X-AG erworben, die sich in seinem Depot bei der B-Bank in Sammelverwahrung befinden.
Datum |
Kurswert |
Anzahl |
Anschaffungskosten |
15.6.2010 |
40 EUR |
100 |
4.000 EUR |
27.7.2011 |
30 EUR |
50 |
1.500 EUR |
10.10.2011 |
40 EUR |
75 |
3.000 EUR |
12.1.2012 |
50 EUR |
120 |
6.000 EUR |
Am 22.12.2012 veräußert A insgesamt 300 Aktien der X-AG zu einem Kurswert von 55 EUR an C und erzielt einen Kaufpreis von 300 × 55 EUR = 16.500 EUR.
Die Veräußerung führt bei A zu Einkünften i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG i. H. v. 16.500 EUR ./. 12.250 EUR = 4.250 EUR. Zur Bestimmung der Anschaffungskosten ist auf die Verbrauchsreihenfolge des § 20 Abs. 4 S. 7 EStG zurückzugreifen. Danach gelten die am 15.6.2010 angeschafften 100 Aktien als zuerst veräußert. Anschließend folgen die am 27.7.2011 angeschafften 50 Aktien und die am 10.10.2011 angeschafften 75 Aktien. Für die verbleibenden 75 Aktien ist schließlich auf die am 12.1.2012 angeschafften Aktien abzustellen. Damit ergebe...