Rz. 330

Eine steuerneutrale Behandlung der Ausübung eines Gestaltungsrechts ist nur möglich, wenn die Voraussetzungen des § 20 Abs. 4a S. 3 EStG erfüllt sind. Insofern muss zunächst eine sonstige Kapitalforderung i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG vorliegen. Der Begriff der sonstigen Kapitalforderungen umfasst alle auf eine Geldleistung gerichteten Forderungen. Forderungen, die auf eine Sachleistung gerichtet sind, fallen nicht unter die sonstigen Kapitalforderungen (Einzelheiten vgl. Rz. 188). Für das Vorliegen einer sonstigen Kapitalforderung i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist seit der Einführung der Abgeltungsteuer nicht mehr erforderlich, dass die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder die Leistung eines Nutzungsentgelts sicher ist. Auch Vollrisiko-Produkte, bei denen weder die Rückzahlung des Kapitalvermögens noch die Leistung eines Nutzungsentgelts zugesagt oder geleistet ist, unterliegen seither der Besteuerung (Einzelheiten vgl. Rz. 191). Erforderlich ist nach § 20 Abs. 4a S. 3 EStG weiterhin, dass die Kapitalforderung mit einem Gestaltungsrecht ausgestattet ist, das dem Gläubiger oder dem Schuldner das Recht einräumt, statt der Rückzahlung des Nennbetrags die Lieferung von Wertpapieren i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu verlangen oder anzudienen. Bei einem Wertpapier handelt es sich um eine Urkunde, in der ein privates Recht in der Weise verbrieft ist, dass zur Geltendmachung des Rechts der Besitz der Urkunde erforderlich ist.[1] Damit fallen Gestaltungsrechte, die die Lieferung oder Andienung von anderen Wirtschaftsgütern als Urkunden zum Gegenstand haben, aus dem Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a S. 3 EStG heraus. Dies gilt insbesondere für Gestaltungsrechte, die dem Gläubiger oder Schuldner das Recht einräumen, Rohstoffe oder Edelmetalle zu liefern oder anzudienen. Auch die Lieferung oder Andienung reiner Beweisurkunden fällt nicht unter § 20 Abs. 4a S. 3 EStG. Hierzu zählen insbesondere die von einer GmbH ausgegebenen Anteilsscheine, die keine Wertpapierqualität haben.[2] Weiterhin müssen die gelieferten oder angedienten Wertpapiere in den Anwendungsbereich von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG fallen. § 20 Abs. 4a S. 3 EStG, der mit dem Jahressteuergesetz 2009 v. 19.12.2008[3] eingeführt wurde, enthielt ursprünglich keine besonderen Anforderungen an die Wertpapiere, die gefordert oder angedient werden konnten. Entsprechend erfasste die Vorschrift die Lieferung und Andienung von Aktien und Anleihen gleichermaßen.[4] Im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2020 v. 21.12.2020[5] hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von § 20 Abs. 4a S. 3 EStG jedoch auf die Lieferung und Andienung von Wertpapieren i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG beschränkt. Seither unterfällt der Regelung nur noch die Lieferung und Andienung von Aktien. Der Gesetzgeber begründet die Einschränkung mit dem Erfordernis der Missbrauchsbekämpfung.[6] Auch Wertpapiere, die die Lieferung physischer Wirtschaftsgüter zum Gegenstand haben (z. B. Xetra-Gold Inhaberschuldverschreibungen), werden von der Vorschrift nicht erfasst.[7]

 

Rz. 331

Ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen unterfallen § 20 Abs. 4a S. 3 EStG damit u. a. Wandelanleihen. Bei einer Wandelanleihe besitzt der Inhaber das Recht, die Anleihe innerhalb einer bestimmten Frist in eine bestimmte Anzahl von Aktien des Emittenten umzutauschen, wobei der Anspruch auf Rückzahlung des Nennbetrags der Anleihe mit dem Umtausch erlischt.[8] Der Emittent und das Unternehmen, dessen Aktien im Falle der Ausübung des Gestaltungsrechts geliefert werden, sind bei der Wandelanleihe also identisch. Die Wandelanleihe ist häufig mit einem unter dem Kapitalmarktzins liegenden Zins ausgestattet. Ebenfalls von § 20 Abs. 4a S. 3 EStG erfasst sind Umtauschanleihen, bei denen der Inhaber das Recht besitzt, bei Fälligkeit anstelle der Rückzahlung des Nennbetrags der Anleihe vom Emittenten die Lieferung einer vorher festgelegten Anzahl von Aktien zu verlangen.[9] Auch bei der Umtauschanleihe führt die Ausübung des Gestaltungsrechts zum Erlöschen des Anspruchs auf Rückzahlung des Nennbetrags der Anleihe. Von der Wandelanleihe unterscheidet sich die Umtauschanleihe dadurch, dass keine Aktien des Emittenten, sondern die eines anderen Unternehmens geliefert werden. Auch die Umtauschanleihe ist i. d. R. unterdurchschnittlich verzinst. Einen weiteren Anwendungsfall des § 20 Abs. 4a S. 3 EStG stellen sog. Hochzins- oder Aktienanleihen dar. Bei einer Aktienanleihe besitzt der Emittent das Recht, bei Fälligkeit dem Inhaber anstelle der Rückzahlung des Nennbetrags der Anleihe eine vorher festgelegte Anzahl von Aktien anzudienen, wobei die Pflicht zur Rückzahlung des Nennbetrags mit der Ausübung des Gestaltungsrechts erlischt.[10] Anders als bei der Wandelanleihe und der Umtauschanleihe steht bei der Aktienanleihe also dem Emittenten das Gestaltungsrecht zu. Aufgrund der für den Inhaber der Anleihe damit einhergehenden Risiken ist die Aktienanleihe häufig mit einer Verzinsung ausgestattet, die über dem Kapitalmarktzins liegt.

 

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