Rz. 336

§ 20 Abs. 4a S. 4 EStG enthält eine Sonderregel für Fälle, in denen es zur Veräußerung oder Ausübung eines Bezugsrechts kommt, das nach § 186 AktG, § 55 GmbHG oder eines vergleichbaren ausl. Rechts einen Anspruch auf Abschluss eines Zeichnungsvertrags begründet. Ein Bezugsrecht vermittelt einem Gesellschafter das Recht, bei einer Neuemission von Kapitalanteilen entsprechend seiner bisherigen Beteiligung neue Anteile zu erwerben.[1] Zur Entstehung eines Bezugsrechts kommt es, wenn eine Gesellschaft eine Kapitalerhöhung gegen Einlage beschließt und die Gewährung von Bezugsrechten nicht ausgeschlossen wird. In diesem Moment spaltet sich das Bezugsrecht vom Kapitalanteil des Gesellschafters ab und wird zu einem eigenständigen Forderungsrecht. Solange der Beschluss über die Kapitalerhöhung noch nicht gefasst ist, handelt es sich bei dem Bezugsrecht um einen unselbstständigen Bestandteil des Kapitalanteils.[2] Die Entstehung eines Bezugsrechts löst keinen stpfl. Kapitalertrag aus. Bis 2009 waren die Anschaffungskosten des bisherigen Kapitalanteils auf das Bezugsrecht und den Kapitalanteil aufzuteilen. Die Aufteilung der Anschaffungskosten hat nach der Gesamtwertmethode zu erfolgen, bei der auf das Verhältnis des niedrigsten Börsenkurses der Bezugsrechte am ersten Handelstag zum niedrigsten Börsenkurs der Kapitalanteile am letzten Handelstag vor dem Bezugsrechtehandel abgestellt wird.[3] Die Aufteilung der Anschaffungskosten auf Grundlage der Gesamtwertmethode bedeutet für die Kreditinstitute einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Hinzu kommt, dass für Bezugsrechte, die nicht gehandelt werden, keine Börsenkurse existieren. In diesen Fällen muss der Wert des Bezugsrechts rechnerisch ermittelt werden, was im Einzelfall zu unrealistischen Ergebnissen führen kann. Ab 2009 vermeidet § 20 Abs. 4a S. 4 EStG diese Probleme, indem die Regelung anordnet, dass eine Aufteilung der Anschaffungskosten nicht mehr erfolgt, sondern die Anschaffungskosten des bisherigen Kapitalanteils unverändert bleiben und für die Bezugsrechte Anschaffungskosten i. H. v. "Null" EUR angesetzt werden.[4]

 

Rz. 337

Falls der Gesellschafter das Bezugsrecht im Anschluss an die Einräumung veräußert, unterliegt dieser Vorgang der Besteuerung nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 2 EStG.[5] Bei einem Bezugsrecht handelt es sich um eine Anwartschaft i. S . dieser Vorschrift. Hierunter fallen alle dinglichen und schuldrechtlichen Ansprüche auf den Erwerb eines Anteils an einer Körperschaft i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG. Eine Einschränkung ist lediglich insofern zu machen, als nur solche Ansprüche erfasst werden, die sich gegen die Körperschaft selbst richten, nicht aber solche, die gegen Dritte gerichtet sind.[6] Diese Voraussetzung ist bei einem Bezugsrecht erfüllt. Anspruchsgegner im Falle eines Bezugsrechts ist die Körperschaft, die das Bezugsrecht ausgegeben hat. Für den Fall der Veräußerung des Bezugsrechts ordnet § 20 Abs. 4a S. 4 EStG an, dass die Anschaffungskosten für das Bezugsrecht im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 20 Abs. 4 S. 1 EStG mit Null EUR anzusetzen sind. Der Gewinn aus der Veräußerung des Bezugsrechts entspricht damit den Einnahmen aus der Veräußerung abzüglich der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen. Nach Ansicht der Finanzverwaltung geht das Anschaffungsdatum der bisherigen Kapitalanteile im Falle der Veräußerung des Bezugsrechts auf das Bezugsrecht über.[7] Sofern die bisherigen Kapitalanteile vor dem 1.1.2009 angeschafft wurden, gelten daher auch die Bezugsrechte als zu diesem Zeitpunkt angeschafft. Die Veräußerung des Bezugsrechts löst in diesem Fall keine Besteuerung nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 2 EStG aus, da diese Vorschrift nach § 52a Abs. 10 S. 1 EStG a. F. nur auf Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen Anwendung findet, die nach dem 31.12.2008 erworben wurden. Sofern die Jahresfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG a. F. bereits abgelaufen ist, kann das Bezugsrecht daher steuerfrei veräußert werden. Zu einer Wiederverstrickung steuerfreier stiller Reserven kommt es im Fall der Veräußerung eines Bezugsrechts folglich nicht.

 

Rz. 338

Nicht abschließend geklärt ist, ob auch die Ausübung eines Bezugsrechts einen stpfl. Vorgang i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 2 EStG darstellt. Der BFH hat mit Blick auf die Rechtslage vor Einführung der Abgeltungsteuer entschieden, dass die Ausübung eines Bezugsrechts innerhalb eines Jahres seit seiner Gewährung der Besteuerung nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG a. F. unterliegt.[8] Dem hatte sich die Finanzverwaltung angeschlossen.[9] Nach Ansicht des BFH handelt es sich um einen Tauschvorgang, bei dem der Stpfl. das Bezugsrecht gegen neue Kapitalanteile tauscht. Auf die Rechtslage nach Einführung der Abgeltungsteuer dürfte sich diese Sichtweise nicht übertragen lassen. Dafür spricht bereits der Wortlaut des § 20 Abs. 4a S. 4 EStG. Würde es sich bei der Ausübung eines Bezugsrechts um einen Unterfall der Veräußerung handeln, ...

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