Joachim Moritz, Dr. Joachim Strohm
Rz. 350
Nach § 20 Abs. 5 S. 3 EStG gilt ein Nießbraucher oder Pfandgläubiger als Anteilseigner, sofern ihm die Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG zuzurechnen sind. Der in §§ 1030ff. BGB geregelte Nießbrauch ist ein beschränktes dingliches Recht, das den Inhaber berechtigt, die Nutzungen des mit dem Nießbrauch belasteten Gegenstands zu ziehen. In Abhängigkeit von der Art und Weise der Bestellung des Nießbrauchs lassen sich der Zuwendungsnießbrauch, bei dem der zivilrechtliche Eigentümer eines Gegenstands einem Dritten den Nießbrauch einräumt und der Vorbehaltsnießbrauch, bei dem der zivilrechtliche Eigentümer das Eigentum an dem Gegenstand auf einen Dritten überträgt und sich den Nießbrauch daran zurückbehält, unterscheiden. Wird der Nießbrauch aufgrund einer letztwilligen Verfügung an einem Gegenstand des Nachlasses begründet, spricht man von einem Vermächtnisnießbrauch, bei dem es sich der Sache nach um einen Fall des Zuwendungsnießbrauchs handelt. § 20 Abs. 5 S. 3 EStG enthält keine besondere Zurechnungsregel für den Nießbrauch. Die Vorschrift stellt lediglich klar, dass es auch in Fällen, in denen an Anteilen an einer Kapitalgesellschaft i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 EStG ein Nießbrauch bestellt ist, für die Einkünftezurechnung darauf ankommt, wem das Kapitalvermögen nach § 39 AO zuzurechnen ist. Danach werden die Einkünfte i. d. R. – unabhängig davon, ob der Nießbrauch entgeltlich oder unentgeltlich bestellt wird – dem zivilrechtlichen Eigentümer und nicht dem Nießbraucher zuzurechnen sein. Eine Zurechnung beim Nießbraucher käme nur in Betracht, wenn er als wirtschaftlicher Eigentümer des mit dem Nießbrauch belasteten Kapitalvermögens angesehen werden könnte. Das ist regelmäßig nicht der Fall, da ihm keine Verfügungsbefugnis über das Kapitalvermögen zukommt und er keine Möglichkeit hat, die Höhe der Kapitalerträge zu beeinflussen.
Rz. 351
Ansicht der Finanzverwaltung
Die Finanzverwaltung vertritt insoweit eine sehr differenzierende Haltung, der es an dogmatischer Klarheit fehlt. Behält sich jemand anlässlich der schenkweisen Übertragung von Kapitalvermögen an den übertragenen Wirtschaftsgütern den Nießbrauch vor oder ist der Nießbrauch an Kapitalvermögen durch einen Erben als neuen, zur Verfügung über das Kapitalvermögen Berechtigten aufgrund einer letztwilligen Verfügung, bestellt worden (Vorbehalts- bzw. Vermächtnisnießbrauch), sind die Einnahmen dem Nießbraucher – trotz Vollrechtsübertragung – zuzurechnen.
Beim unentgeltlich bestellten Zuwendungsnießbrauch sind die Einnahmen dem Nießbrauchbesteller zuzurechnen, auch wenn sie dem Nießbraucher zufließen. Bei entgeltlicher Bestellung eines Nießbrauchs an Kapitalvermögen ist dem Nießbrauchbesteller das hierfür gezahlte Entgelt nach § 20 Abs. 2 Nr. 2 EStG zuzurechnen. Entsprechend zieht der Nießbraucher lediglich eine Forderung ein, sodass die Kapitalerträge bei ihm nicht zu besteuern sind.
Rz. 352
Entsprechendes gilt für den in § 20 Abs. 5 S. 3 EStG ebenfalls genannten Pfandgläubiger. Ein Pfandrecht i. S. d. §§ 1204ff. BGB dient der Sicherung einer Forderung. Es handelt sich um ein beschränktes dingliches Recht, das den Inhaber berechtigt, den mit dem Pfandrecht belasteten Gegenstand bei Fälligkeit der Forderung zu veräußern und auf diese Weise Befriedigung für die Forderung zu erlangen. In Abhängigkeit von der Art und Weise der Entstehung des Pfandrechts lassen sich das rechtsgeschäftliche Pfandrecht, das durch vertragliche Vereinbarung zwischen dem Pfandschuldner und dem Pfandgläubiger begründet wird, das gesetzliche Pfandrecht, das kraft unmittelbarer gesetzlicher Anordnung zustande kommt, und das durch Zwangsvollstreckung begründete Pfändungspfandrecht unterscheiden, das infolge der Pfändung eines Gegenstands durch den Gerichtsvollzieher entsteht. Auch mit Blick auf das Pfandrecht ergeben sich aus § 20 Abs. 5 S. 3 EStG keine besonderen Zurechnungsgrundsätze. Vielmehr kommt es auch in Fällen, in denen Anteile an einer Kapitalgesellschaft i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG mit einem Pfandrecht belastet sind, allein darauf an, wem das Kapitalvermögen nach § 39 AO für steuerliche Zwecke zuzurechnen ist. Ausgehend hiervon wird die Einkünftezurechnung i. d. R. beim zivilrechtlichen Eigentümer und nicht beim Pfandgläubiger erfolgen müssen, da der Pfandgläubiger regelmäßig nicht als Inhaber des wirtschaftlichen Eigentums angesehen werden kann. Der Pfandgläubiger hat vor Fälligkeit der durch das Pfandrecht gesicherten Forderung keine Verfügungsbefugnis über das Kapitalvermögen. Auch hat er keine Möglichkeit, die Höhe der Kapitalerträge zu beeinflussen.