Joachim Moritz, Dr. Joachim Strohm
Rz. 369
§ 20 Abs. 6 S. 1 EStG bestimmt, dass Verluste aus Kapitalvermögen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden dürfen. Sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Der Gesetzgeber rechtfertigt das Verbot des vertikalen Verlustausgleichs für Verluste aus Kapitalvermögen in § 20 Abs. 6 S. 1 EStG damit, dass für die Einkünfte aus Kapitalvermögen seit der Einführung der Abgeltungsteuer ein vom progressiven Normaltarif i. H. v. bis zu 45 % abweichender proportionaler Sondertarif i. H. v. lediglich 25 % gilt. Dem ist zuzustimmen (Einzelheiten Rz. 46ff.). Denn ist die Einführung des Sondertarifs für die Einkünfte aus Kapitalvermögen als solche gerechtfertigt, erfordert eine folgerichtige Umsetzung dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung, dass der Sondertarif nicht nur für Gewinne, sondern auch für Verluste aus Kapitalvermögen gilt. Eine Verrechnung proportional niedrig besteuerter Verluste aus Kapitalvermögen mit progressiv hoch besteuerten Gewinnen aus anderen Einkunftsarten lässt sich mit dem Grundsatz der Folgerichtigkeit nicht vereinbaren, falls man den Sondertarif für die Einkünfte aus Kapitalvermögen als solchen mit dem GG vereinbar ansieht. Die danach gebotene Gleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten aus Kapitalvermögen könnte zwar auch durch die Gewährung einer Steuergutschrift oder einen überperiodischen Verlustabgleich erreicht werden. Doch würden diese Methoden im Gegensatz zum vollständigen Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs einen erheblichen Veranlagungsaufwand nach sich ziehen und den Vereinfachungszweck der Abgeltungsteuer gefährden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass sich durch die Einführung der Abgeltungsteuer auch Verbesserungen bei der Verlustverrechnung ergeben haben. So können Verluste aus der Veräußerung von Wertpapieren, die bisher unter § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG a. F. fielen, nunmehr mit laufenden Kapitalerträgen i. S. d. § 20 Abs. 1 EStG zum Ausgleich gebracht werden. Dies war bisher aufgrund des Verlustverrechnungsverbots in § 23 Abs. 3 S. 7 EStG nicht möglich. Entsprechendes gilt für Verluste aus Stillhaltergeschäften. Diese waren bisher von § 22 Nr. 3 EStG erfasst und unterlagen dem Verlustverrechnungsverbot i. S. d. § 22 Nr. 3 S. 3 EStG. Auch insofern besteht nunmehr die Möglichkeit einer Verrechnung mit laufenden Kapitalerträgen i. S. d. § 20 Abs. 1 EStG und mit Veräußerungsgewinnen i. S. d. § 20 Abs. 2 EStG. Einschränkungen ergeben sich zwar durch die Verrechnungsverbote für Verluste aus stillen Gesellschaften i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG, für Verluste aus der Veräußerung von Aktien i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 4 EStG, Verluste aus Termingeschäften i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 5 EStG, Verluste aus dem Untergang privater Kapitalanlagen i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 6 EStG und für Verluste aus Steuerstundungsmodellen i. S. d. § 20 Abs. 7 S. 1 EStG. Diese Verlustverrechnungsverbote müssen jedoch gesondert beurteilt werden und lassen keine Rückschlüsse auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des § 20 Abs. 6 S. 1 EStG zu, der u. E. insgesamt als mit dem GG vereinbar anzusehen ist.
Rz. 370
Mit Blick auf den sachlichen Anwendungsbereich des § 20 Abs. 6 S. 1 EStG ist zu beachten, dass Verluste aus Kapitalvermögen aufgrund des Abzugsverbots für Werbungskosten i. S. d. § 20 Abs. 9 S. 1 EStG in nennenswertem Umfang nur noch bei der Veräußerung von Kapitalanlagen i. S. d. § 20 Abs. 2 EStG anfallen können. Bei den laufenden Kapitalerträgen i. S. d. § 20 Abs. 1 EStG kommen Verluste nur noch in Ausnahmefällen in Betracht. Zu denken ist etwa an Verlustanteile eines stillen Gesellschafters i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG, gezahlte Stückzinsen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und Verluste aus Stillhaltergeschäften i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG. Zu berücksichtigen ist ferner, dass § 20 Abs. 6 S. 1 EStG nur Verluste betrifft, auf die § 20 EStG in der nach dem 31.12.2008 geltenden Fassung Anwendung findet. Für Altverluste aus Kapitalvermögen, die unter die bis zum 1.1.2009 geltende Fassung des § 20 EStG fallen, entfaltet das Verlustverrechnungsverbot i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 1 EStG keine Wirkung. Diese Verluste können ohne Einschränkung mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden. Sofern eine Verrechnung mit Neugewinnen i. S. d. § 20 EStG erfolgen soll, ist dies jedoch nur im Rahmen einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG möglich. § 20 Abs. 6 S. 1 EStG ist darüber hinaus nicht anwendbar auf Verluste aus der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung i. S. d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG. Wie sich aus § 20 Abs. 8 S. 1 EStG ergibt, geht § 17 Abs. 1 S. 1 EStG der Besteuerung nach § 20 EStG vor. Damit ist auch eine Anwendung des § 20 Abs. 6 S. 1 EStG ausgeschlossen, zumal § 17 Abs. 2 S. 6 EStG ein eigenständiges Verlustverrechnungsverbot enthält. Die in § 20 Abs. 8 S. 1 geregelte Sperrwirkung von § 17 EStG reicht jedoch nur, soweit § 17 EStG Anwendung findet (s. Rz. 394a).§ 20 Abs. 6 EStG umfasst grundsätzlich auch...