Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
Rz. 14
Nach §§ 238, 243 HGB müssen Buchführung und Bilanz den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung entsprechen; nach § 5 Abs. 1 EStG ist steuerlich das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung auszuweisen ist. Sowohl nach Handels- als auch nach Steuerrecht müssen daher Buchführung und Bilanz den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung entsprechen.
Was diese Grundsätze sind, und wie sie ermittelt werden, ist gesetzlich nicht geregelt. Allerdings enthalten die handelsrechtlichen Vorschriften über die Handelsbücher eine, wenn auch nicht vollständige, gesetzliche Regelung dieser Grundsätze oder zumindest Regelungen, die aus diesen Grundsätzen abgeleitet sind. Insbesondere die Vorschriften über die Inventur, §§ 240, 241 HGB, die allgemeinen Bilanzierungsregeln in §§ 243 Abs. 2, 3, 246, 247 Abs. 1 HGB sowie die allgemeinen Bewertungsgrundsätze in § 252 Abs. 1 HGB sind solche Grundsätze. Vgl. hierzu Rz. 25ff.
Allgemein gesprochen entspricht die Bilanz den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung, wenn sie die Zwecke erfüllt, die sie erfüllen soll, also insbesondere die Informationen enthält, die sie enthalten soll. Die Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung hängen daher von dem Zweck ab, den die Bilanz erfüllen soll. Für eine Gewinnermittlungsbilanz gelten daher andere Grundsätze als für eine Umwandlungs- oder Liquidationsbilanz. Auch innerhalb der Gewinnermittlungsbilanzen ist nach den Zwecken zu unterscheiden. Eine Bilanz, die der Kapitalerhaltung und damit einer vorsichtigen Ermittlung eines ausschüttungsfähigen Gewinns dient, folgt anderen Regeln als eine Bilanz, die der Grundlage für die Entscheidungen der Kapitalanleger dienen soll. Die Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung sind daher von dem jeweiligen Zweck abzuleiten, den die Bilanz zu erfüllen hat. Die Ermittlung dieser Grundsätze hat deduktiv aus dem Zweck der Bilanz zu erfolgen, nicht induktiv aus der Verkehrsübung der Kaufleute. Allerdings kann die tatsächliche Praxis der Kaufleute eine wichtige Erkenntnisquelle sein (vgl. auch Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, § 5 Rz. 66; Beck’scher Bilanzkommentar, § 243 Rz. 11ff.; Beisse, StuW 1984, 1, 6 m. w. N.; vgl. auch Schreiber, in Blümich, EStG, § 5 Rz. 209; BFH v. 31.5.1967, BStBl III 1967, 607). Letztlich ergeben sich die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung aus den zwingenden handelsrechtlichen Vorschriften; es können darüber hinaus auch ungeschriebene Grundsätze bestehen, die aber nicht gegen zwingendes Gesetzesrecht verstoßen können.