Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
Rz. 452d
Übernimmt der Steuerpflichtige im Rahmen eines Kaufvertrags Verpflichtungen, die aus einem schwebenden Geschäft stammen und die bei dem Veräußerer als drohende Verluste aus schwebenden Geschäften nicht passiviert werden durften, liegt bei dem Erwerber ein Anschaffungsgeschäft vor, das mit den Anschaffungskosten zu bilanzieren ist. Das wurde in einem ersten Verfahren für den Fall entschieden, dass der Erwerber nicht in den schwebenden Vertrag eintritt, sondern den Veräußerer nur von den Verpflichtungen aus dem Vertrag freistellt. In diesem Fall bleibt der Veräußerer im Außenverhältnis Schuldner, während der Erwerber nur im Innenverhältnis zur Freistellung verpflichtet ist. Der Grundsatz der erfolgsneutralen Bilanzierung hat Vorrang vor dem Bilanzierungsverbot des § 5 Abs. 4a EStG. Ist die Rückstellung, die steuerbilanziell vor ihrer Realisierung bilanziell nicht ausgewiesen werden darf, Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags, hat sich diese Verpflichtung realisiert und ist daher auszuweisen. Das bedeutet, dass die übernommene Verpflichtung aus dem schwebenden Vertrag mit den Anschaffungskosten, d. h. dem Erfüllungsaufwand aus der Freistellung des Veräußerers aus der Verpflichtung, zu passivieren ist. Der Geschäftsvorgang kann nicht in einen erfolgsneutralen Anschaffungsvorgang einerseits und in einen dem Passivierungsverbot unterliegenden Rückstellungsvorgang aufgespalten werden. Würde die Passivierung wegen des Passivierungsverbots nicht vorgenommen, würde der Anschaffungsvorgang zu einem "Erwerbsgewinn" führen und wäre nicht mehr erfolgsneutral. Bei dieser Freistellungsverpflichtung handelt es sich seinerseits nicht um einen schwebenden Vertrag, da das Geschäft als Erwerbsvorgang bereits erfüllt ist. Die Verpflichtung wurde bei dem Veräußerer durch den aufgrund der Übernahme der Verpflichtung niedrigeren Kaufpreis realisiert und ist bei dem Erwerber nicht mehr Gegenleistung im Rahmen eines schwebenden Vertrags. Die Erfüllung der Verpflichtung durch den Erwerber ist somit nicht mehr Erfüllung eines schwebenden Vertrags, sondern nur noch dinglicher Erfüllungsakt. Die Freistellungsverpflichtung ist daher als ungewisse Verbindlichkeit und nicht als Drohverlustrückstellung zu passivieren. Das bedeutet, dass die Rückstellung auch in den Folgebilanzen beizubehalten und nicht etwa in der nächsten Bilanz nach § 5 Abs. 4a EStG gewinnwirksam aufzulösen ist.
Rz. 452e
In einem zweiten Verfahren hat der BFH diese Rechtsprechung bestätigt und auf den Fall des Eintritts in den Vertrag ausgedehnt, allerdings nicht für eine Drohverlustrückstellung, sondern für eine Rückstellung für Jubiläumszuwendungen. In diesem Fall wurde der Erwerber der Verbindlichkeit durch eine Betriebsübernahme unmittelbarer Vertragspartner der Gläubiger, während der Veräußerer von seiner Verpflichtung befreit wurde. Die Verpflichtung wird auch in diesem Fall bei dem Veräußerer durch den aufgrund der Übernahme der Verpflichtung niedrigeren Kaufpreis realisiert und ist bei dem Erwerber nicht mehr Gegenleistung im Rahmen eines schwebenden Vertrags. Der Grundsatz der Erfolgsneutralität des Anschaffungsvorgangs hat auch in diesem Fall Vorrang vor steuerlichen Rückstellungsverboten. Das Anschaffungskostenprinzip verbietet auch die Auflösung der Rückstellung zum nächsten Bilanzierungsstichtag, da sonst die Anschaffungskosten überschritten würden; was unzulässig wäre. Die Rechtsprechung bezieht sich ausdrücklich auf die in Rz. 452d dargestellte Entscheidung zu Drohverlustrückstellungen, sodass auch die Folgeentscheidung, obwohl sie eine Rückstellung für Jubiläumszuwendungen betrifft, auf Drohverlustrückstellungen anzuwenden ist.