Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
Rz. 469
Als Verbindlichkeit auszuweisen ist eine Leistungsverpflichtung, wenn sie sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach feststeht, d. h. vom Verpflichteten in der geltend gemachten Höhe anerkannt ist. Ist die Verpflichtung dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewiss, so kann lediglich eine Rückstellung gebildet werden. Der Unterschied zwischen Verbindlichkeit und Rückstellungsbildung besteht nicht nur in der Benennung, vielmehr sind auch die materiellen Voraussetzungen für die Passivierung unterschiedlich. Vgl. Rz. 478ff.
Rz. 470
Ob eine Verbindlichkeit dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewiss ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Sie ist dem Grunde nach ungewiss, wenn für den objektiven Betrachter aus der Sicht des Verpflichteten unklar ist, ob die Verpflichtung entstanden ist. Besteht gleichwohl eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme (Rz. 257), so kann eine Rückstellung gebildet werden.
Ist die Verbindlichkeit dem Grunde nach unzweifelhaft entstanden, aber ihre Höhe ungewiss, so ist ebenfalls nur eine Rückstellung in Höhe der wahrscheinlichen Inanspruchnahme (vgl. Rz. 362) möglich. Der Höhe nach ungewiss sind aber nicht Verbindlichkeiten, deren Höhe sich aufgrund der geschlossenen Vereinbarungen (z. B. Wertsicherungsklauseln) oder wegen der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in der Zukunft (Minderung oder Erhöhung eines verursachten Schadens) ändern kann. Auch Fremdwährungsverbindlichkeiten sind trotz der Unwägbarkeiten der Wechselkursentwicklung bis zur Erfüllung nicht ungewiss; sie sind mit dem Kurswert am jeweiligen Bilanzstichtag zu bewerten (§ 6 Rz. 668f.).
Bestreitet der Verpflichtete die gegen ihn geltend gemachte Forderung, so hängt die Abgrenzung zur Rückstellung von der Einschätzung des Verpflichteten ab. Dabei kommt es in erster Linie auf seine Einlassung gegenüber dem Berechtigten an. Hält der Verpflichtete die geltend gemachte Verbindlichkeit für zweifelhaft, anerkennt er sie aber gleichwohl, so ist der Betrag als Verbindlichkeit auszuweisen. Bestreitet der Verpflichtete die Verbindlichkeit nur aus taktischen Gründen – etwa um die Zahlungspflicht hinauszuzögern –, so kann er gleichwohl eine Verbindlichkeit ausweisen, wenn er diese Umstände belegen kann.
Rz. 471
Anerkennt der Verpflichtete die vom Gläubiger geltend gemachte Forderung nur zu einem Teil, so stellt sich die Frage, ob er in Höhe des anerkannten Teils eine Verbindlichkeit und in Höhe des bestrittenen Teils eine Rückstellung ausweisen muss, oder ob er für die gesamte Verbindlichkeit eine Rückstellung zu bilden hat. Da es sich um einen einheitlichen Geschäftsvorfall handelt, ist grundsätzlich einheitlich zu bilanzieren, d. h. eine Rückstellung auszuweisen (bestritten, a. A. Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, § 249 HGB Rz. 36). Diese Rückstellung ist in Höhe des anerkannten Teils mit dem Verpflichtungsbetrag, im Übrigen nach den für die Rückstellungsbildung geltenden Grundsätzen, also in Höhe des zu schätzenden mutmaßlichen Verpflichtungsbetrags, zu passivieren. Die Höhe der gesamten Passivierung ist somit bei beiden Bilanzierungsarten gleich.