Rz. 67
Ursprüngliche gesetzliche Regelung
§ 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a. F. ließ von der Gesamtbewertung Ausnahmen zu und gestattete alternativ eine Einzelbewertung. Hiernach war eine Abweichung von der Gesamtbewertung und stattdessen eine Einzelbewertung der betroffenen Wirtschaftsgüter und Dienstleistungen zulässig, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass
- keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren (1. Alternative),
- die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise, gemessen an der Bewertung des Transferpakets als Ganzes, dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht (2. Alternative),
- zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist, und er es genau bezeichnet (3. Alternative).
Rz. 68
Inhaltliche Beschränkung auf § 1 Abs. 3 AStG Satz 10 Alt. 1 AStG a. F. i. R. des AbzStEntModG
Mit der inhaltlichen Neufassung der Regelungen zur Funktionsverlagerung durch das AbzStEntModG in § 1 Abs. 3b AStG sind die bisherige zweite und dritte Alternative der Escape-Regelungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a. F. zur Einzelbewertung anstelle einer Gesamtbewertung ersatzlos entfallen. § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG lässt eine Einzelbewertung nunmehr nur noch zu, „wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass weder wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren“. Der Gesetzesbegründung lässt sich zur Reduzierung der Escape-Regelungen nichts entnehmen. Vertreter der Finanzverwaltung verweisen darauf, dass die beiden entfallenden Escape-Regelungen keine praktische Bedeutung hatten und theoretisch nicht tragbar erschienen. Richtig ist, dass jedenfalls der Ansatz von Einzelverrechnungspreisen anstelle eines Gesamtpreises, insbesondere für Zwecke der Alt. 2 des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a. F. keine Erleichterung darstellte, da der Steuerpflichtige das Transferpaket als Ganzes nach den Grundsätzen des hypothetischen Fremdvergleichs zu bewerten hatte, um diesem Wert die Summe der Einzelverrechnungspreise gegenüberstellen zu können. Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FVerlV a. F. durfte überdies die Summe der Einzelverrechnungspreise für die Wirtschaftsgüter und Vorteile nur dann angesetzt werden, „wenn sie im Einigungsbereich liegt und der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass sie dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.“ Rz. 73 der VWG-Funktionsverlagerung verlangte dem Steuerpflichtigen schließlich ab, „die Differenz zwischen der Summe der Einzelverrechnungspreise und dem Wert für das Transferpaket“ aufzuklären und zu begründen, „warum die Summe der Einzelverrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.“ An dieser Unmöglichkeit wurde der Ansatz des Mittelwerts festgemacht. Die fehlende praktische Bedeutung der beiden entfallenden Escape-Regelungen mag vor diesem Hintergrund auch darin begründet sein, dass die FVerlV und die VWG-Funktionsverlagerung gemessen an der gesetzlichen Regelung und der Gesetzesbegründung deutlich überschießende Anforderungen an deren Anwendung stellten.
Im Hinblick auf die Regelung des § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG ist schließlich von Bedeutung, dass es bezogen auf sonstige Vorteile nicht auf deren Wesentlichkeit ankommt, sondern glaubhaft zu machen ist, dass keine sonstigen Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren. Während die Alt. 2 des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a. F. das Wesentlichkeitskriterium noch auf immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile bezogen hatte („keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile“), bezieht § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG dieses nur noch auf immaterielle Wirtschaftsgüter („weder wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile“). Dementsprechend regelt § 1 Abs. 3 FVerlV nur noch die Voraussetzungen, unter denen immaterielle Wirtschaftsgüter „wesentlich“ i. S. v. § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG sind.
Die Neuregelung in § 1 Abs. 3b AStG ist erstmals für den Veranlagungs-/Erhebungszeitraum 2022 anzuwenden (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AStG), sodass die entfallenden Escape-Regelungen letztmalig für Funktionsverlagerungen im Veranlagungs-/Erhebungszeitraum 2021 anzuwenden sind.
Rz. 69
Glaubhaftmachung
Was die Glaubhaftmachung anbelangt, fordert sie ein deutlich herabgesetztes Beweismaß. Eine Tatsache ist hiernach schon dann glaubhaft gemacht, wenn für sie eine überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht; eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Tatsache ist nicht erforderlich. Dem folgt auch die Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung. Hiernach ist eine vom darlegungspflichtigen Steuerpflichtigen behauptete Tatsache dann zugrunde zu legen, wenn ihr Bestehen wahrscheinlicher ist als das Gegenteil.
Rz. 70
Wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter
Die Escape-Regelung des § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG knüpft ihren Anwendungsbereich an das Wesentlichkeitserfordernis der übergehenden immateriellen Wirtschaftsgüter. § 1 Abs. 3 FVerlV definiert dieses Tatbestandsmerkmal exklusiv f...